Leitsatz (amtlich)

1. Die in der Rechtsprechung des BGH entwickelten Grundsätze zum Unterlassungsanspruch gegenüber dem erkennbar unerwünschten Einwurf von Werbematerial in Hausbriefkästen gelten auch für die Wahlwerbung politischer Parteien. Auch schon der erste gegen den erklärten Willen erfolgte Einwurf derartigen Werbematerials stellt eine rechtswidrige Störung dar (Anschluss BGH, 20.12.1988, VI ZR 182/88, NJW 1989, 902).

2. Zumindest mittelbarer Störer ist in diesem Fall der das Werbematerial herausgebende Bundesverband der Partei, auch wenn er die Verteilung durch den Landesverband bzw. durch von diesem beauftragte Personen vornehmen lässt. Er kann sich nur dann von seiner Haftung entlasten, wenn er darlegt, dass er alle in Betracht kommenden und erfolgversprechenden Aktivitäten entfaltet hat, um Belästigungen durch unerwünschtes Werbematerial zu verhindern. Der bloße Hinweis des Bundesverbands, er habe den Landesverband und dieser seine Verteiler darauf hingewiesen, kein Werbematerial in Briefkästen mit entsprechenden Aufklebern zu werfen, genügt nicht.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1, §§ 862, 903, 1004

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 15 O 427/99)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 01.08.2002; Aktenzeichen 2 BvR 2135/01)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Berlin vom 10.12.1999 – 15 O 427/99 – geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000 DM, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – zu vollstrecken an ihrem Vorstand – zu unterlassen, künftig ihre Wahlwerbung in den Hausbriefkasten des Klägers in 1 Berlin, F.-Straße einzuwerfen bzw. einwerfen zu lassen, solange dort der Aufkleber „keine Werbung einwerfen” angebracht ist.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer übersteigt 60.000 DM nicht.

 

Gründe

Mit der vorliegenden Unterlassungsklage wendet sich der Kläger gegen die Zusendung von politischem Werbematerial der Beklagten, das er in seinem Briefkasten trotz eines entsprechenden aufgeklebten Hinweiszettels dahingehend, dass der Einwurf von Werbesendungen zu unterlassen sei, vorgefunden hat. Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der erstinstanzlich lediglich behauptete einmalige Verstoß rechtfertige das Unterlassungsbegehren nicht. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der nunmehr behauptet, nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils ein weiteres Mal ein Werbeflugblatt der Beklagten in seinem Postkasten vorgefunden zu haben.

Die gem. §§ 511, 511a, 516, 518, 519 ZPO zulässige Berufung des Klägers ist auch in der Sache begründet. Dabei kommt es nicht darauf an, ob nunmehr ein zweites Mal, wie von der Beklagten bestritten, Werbematerial bei dem Kläger eingeworfen worden ist, denn bereits der erste Fall vom 7.5.1999 rechtfertigt das Klagebegehren.

1. Dass der Kläger an jenem 7.5.1999 das mit der Klageschrift eingereichte Werbeflugblatt der Beklagten in seinem Hausbriefkasten vorgefunden hat, hat die Beklagte nicht bestritten. Ebenso wenig hat sie in Abrede gestellt, dass dieser Briefkasten mit einem Aufkleber versehen war, mit dem der Einwurf von Werbesendungen untersagt wurde.

Nach der herrschenden Rechtsprechung stellt die Übersendung von Werbematerial trotz eines erklärten entgegenstehenden Willens eine Besitz- bzw. Eigentumsstörung und darüber hinaus eine Störung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar (BGH v. 20.12.1988 – VI ZR 182/88, BGHZ 106, 229 [233] = CR 1989, 485 = MDR 1989, 439 = NJW 1989, 902; OLG Frankfurt v. 1.6.1995 – 1 U 80/94, NJW 1996, 934; OLG Bremen v. 18.6.1990 – 6 U 1/90, NJW 1990, 2140) und löst damit einen Abwehranspruch nach §§ 903, 862, 823 Abs. 1, 1004 BGB aus. Nach Auffassung des BGH geht es dabei nicht um eine mit dem heutigen gesellschaftlichen Zusammenleben notwendig verbundene „sozialadäquate” Belästigung, denn angesichts des Ausmaßes derartiger Werbesendungen könne keine Rede davon sein, dass der Betroffene dadurch auch dann nur unwesentlich beeinträchtigt würde, wenn er seine häusliche Sphäre für ein derartiges Zudringen von Drittinteressen ausdrücklich gesperrt habe. Es gehe auch weniger um die Beeinträchtigung des gegenständlich-räumlichen Eigenbereichs des Betroffenen als vielmehr darum, einer Konfrontation mit der Suggestivwirkung der Werbung zu entgehen. Dieser Wille des Bürgers, insoweit seinen Lebensbereich vor jedem Zwang zur Auseinandersetzung mit Werbung nach Möglichkeit freizuhalten, sei als Ausfluss seines personalen Selbstbestimmungsrechts schutzwürdig (BGH v. 20.12.1988 – VI ZR 182/88, BGHZ 106, 229 [233] = CR 1989, 485 = MDR 1989, 439 NJW 1989, 902).

Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, diese Grundsätze könnten auf die Werbung politischer Parteien auf Grund des ihnen nach der Verfassung gewährten Parteienprivilegs keine Anwendung finden, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Dem Recht der Parteien, ihrer...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge