Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 11.11.2015; Aktenzeichen 45 O 321/15)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 11.11.2015 verkündete Urteil des LG Berlin - 45 O 321/15 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie hat freilich in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das LG die Klage abgewiesen.

Der Klägerin und der B. AG, als deren Prozessstandschafterin die Klägerin den im Antrag zu 1 geltend gemachten Schadensersatzanspruch einklagt, stehen wegen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls vom 12.12.2014 gegen die Beklagten keine Ansprüche auf Schadensersatz zu. Der Senat teilt die Ansicht des LG, dass die Beklagten im Rahmen der Abwägung nach §§ 17, 18 StVG, § 9 StVG sowie § 254 BGB, § 115 Abs. 1 VVG nicht, auch nicht anteilig, haften.

1. Der Geschäftsführer der Klägerin hat den Unfall schuldhaft verursacht. Er durfte gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 StVO die Kreuzung H.-straße/S.-straße, für die die Vorfahrt nicht durch Verkehrszeichen gesondert geregelt war, nur passieren, wenn er die Vorfahrt des von rechts kommenden Skoda des Beklagten zu 1 beachtet, was der Geschäftsführer nicht tat. Es kam zum Unfall. Ein Vorfahrtsberechtigter darf darauf vertrauen, dass der Wartepflichtige auf der gesamten Straßenbreite seine Vorfahrt beachtet (Spelz in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 8 StVO Rn. 55 m.w.N.). Im Grundsatz tritt in der Fällen Vorfahrtsverletzung die einfache Betriebsgefahr des bevorrechtigten Fahrzeugs hinter das Verschulden des Wartepflichtigen zurück (KG, Urteil vom 21.10.2002 - 22 U 359/01 -, juris Rn. 9; OLG Hamm, Urteil vom 15.3.1999 - 13 U 208/98 -, juris Rn. 6; Heß in: Burmann/Heß u.a., Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage 2016, § 8 StVO Rn. 69).

Dieser Grundsatz, dass der Wartepflichtige im Regelfall voll haftet, wird an Kreuzungen mit "rechts vor links" eingeschränkt. Der an sich Vorfahrtsberechtigte hat, weil er seinerseits den im Verhältnis zu ihm von rechts Kommenden Vorfahrt gewähren muss, sich der Kreuzung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 StVO ebenfalls mit mäßiger Geschwindigkeit zu nähern und sich darauf einzustellen, notfalls rechtzeitig anhalten zu können. Diese mit "halber Vorfahrt" bezeichnete Situation dient dem Schutz des von links kommenden Wartepflichtigen ebenfalls (zum Ganzen: Spelz, a.a.O., § 8 StVO, Rn. 62 m.w.N.).

Die unter dem Stichwort "Halbe-Vorfahrt" entwickelten Haftungsgrundsätze sind jedoch auf den Unfall vom 12.12.2014 nicht anwendbar. Sie gelten nämlich nur für nach rechts schlecht einsehbare Kreuzungen. Wenn der "halb" Vorfahrtsberechtigte die für ihn von rechts einmündende Straße rechtzeitig und weit genug einsehen kann, ist die Lage für ihn ähnlich übersichtlich, wie wenn er eine Vorfahrtsstraße befährt. Er kann deswegen auf die Beachtung seines Vorfahrtsrechts ohne Verringerung der zulässigen Geschwindigkeit vertrauen (Spelz, a.a.O., § 8 StVO, Rn. 63 m.w.N.). An einer derartig gut einsehbaren Kreuzung geschah der streitgegenständliche Unfall.

2. Den Beklagten ist nicht aus anderen Gründen eine anteilige Haftungsquote anzurechnen. Bei der Abwägung der Mitverursachungs- und Mitverschuldensanteile sind nach §§ 17, 9 StVG, 254 BGB nur unstreitige, zugestandene oder bewiesene Tatsachen zu Grunde zu legen, wobei die Parteien im Bestreitensfall jeweils die Mitverursachung sowie das Verschulden der Gegenseite zu beweisen haben (Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 17 StVG Rn. 58 m.w.N.; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 17 StVG Rn. 31).

Einzig in Betracht kam in der Berufungsinstanz, eine mögliche Verletzung von § 10 S. 1 letzte Alternative StVO durch den Beklagten zu 1. Die Klägerin hat indes nicht zu beweisen vermocht, dass der Beklagte zu 1 mit seinem Skoda unmittelbar vor dem Verkehrsunfall und in unmittelbarer Nähe vom Fahrbahnrand der Soorstraße angefahren ist und deswegen den Verkehrsunfall wegen eines Verstoßes gegen § 10 S. 1 letzte Alternative StVO mitverursacht hat. Der Senat hat insoweit die bereits vom LG durchgeführte Beweisaufnahme wiederholt. Er hat sich keine mit dem Beweismaßstab des § 286 ZPO zu vereinbarende Gewissheit darüber verschaffen können, dass die Behauptung der Klägerin zutrifft.

Objektive Daten, die die Behauptung der Klägerin bestätigen, sind nicht ersichtlich.

Es ist zwar richtig, dass der BMW der Klägerin mit seiner vorderen rechten Seite mit dem vorderen linken Kotflügel des Skoda des Beklagten zu 1 kollidierte. Dieser Umstand lässt aber keine verlässlichen Rückschlüsse zum Beleg der Behauptung der Klägerin zu, dass der Beklagte zu 1 mit seinem Fahrzeug unmittelbar vor dem Unfall erst vom Fahrbahnrand angefahren ist oder schon länger die Soors...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?