Leitsatz (amtlich)

1. Ein sog. nachbarrechtlicher Abwehranspruch kommt nicht in Betracht, wenn eine abschließende Regelung existiert.

2. Zu Regelungsinhalt und Umfang von § 66 Berliner Wassergesetz beim Eintritt von Niederschlagswasser auf ein tiefer gelegenes Nachbargrundstück.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 23 O 335/03)

 

Tenor

Auf die Berufungen der Streitverkündeten zu 1)-3) wird das am April 2004 verkündete Urteil der Zivilkammer 23 des LG Berlin wie folgt geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks ...-Weg 6. Die Beklagte ist Eigentümerin der angrenzenden, höher liegenden Grundstücke ...-Weg 7-10. Die Streithelferin zu 3) errichtete auf dem Grundstück eine Reihenhausanlage und verkaufte das unmittelbar an der Grenze zum Grundstück der Klägerin liegende Teilgrundstück an die Streitverkündeten zu 1) und 2).

Am 7.8.2002 regnete es sehr stark. Ein auf dem Grundstück der Beklagten errichteter Graben lief binnen weniger Minuten voll. Das durch das abschüssige Gelände hinablaufende Wasser spülte eine Erdaufschüttung an der Grenze zu dem Grundstück der Klägerin im Bereich der Abgrabung fort.

Mit der Klage macht die Klägerin Schadensersatzansprüche im Wege einer Teilklage geltend) Die Klägerin hat behauptet, dass von den Dächern des Reihenhauses auf dem Grundstück der Beklagten Niederschlagswasser auf ihr tiefer gelegenes Grundstück und in den dortigen Keller geflossen sei.

Das LG Berlin hat der Klage teilweise stattgegeben.

Dagegen richten sich die Berufungen der Streithelfer und die Anschlussberufung der Klägerin.

Von der weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II. Die Berufungen der Streithelfer und die Anschlussberufung der Klägerin sind form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 517, 519, 520, 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO); sie sind mithin zulässig. In der Sache haben nur die Berufungen der Streithelfer Erfolg.

Die Entscheidung des LG erweist sich nach Ansicht des Senats als rechtlich unzutreffend (§§ 513, 546 ZPO). Entgegen der vom Gericht erster Instanz vertretenen Ansicht steht der Klägerin ggü. der Beklagten kein Schadensersatzanspruch zu.

1. Ein Schadensersatzanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB (in entsprechender Anwendung) kommt - anders als vom LG angenommen - bei der hier vorliegenden Sachlage nicht in Betracht.

Nach § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung des Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Hat der Eigentümer eine Einwirkung zu dulden, so kann er von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt, § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB.

Außerhalb von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB hat die Rechtsprechung einen sog. nachbarrechtlichen Abwehranspruch anerkannt. Diesen bejaht sie, wenn von einem Grundstück grundsätzlich abwehrbare Einwirkungen i.S.v. § 906 ausgehen, an deren Abwehr der Betroffene aus besonderem Grund gehindert ist.

Der Anspruch wird aus den Rechtsgedanken der §§ 904 Satz 2, 906 Abs. 2 Satz 2, § 14 Satz 2 BImSchG hergeleitet und ist verschuldensunabhängig (BGH NJW 2001, 1865).

Die Voraussetzungen eines solchen Ausgleichsanspruchs liegen hier nicht vor. Die Klägerin war zwar angesichts des schadensstiftenden Ereignisses aus tatsächlichen Gründen gehindert, einen Abwehranspruch (vgl. § 1004 BGB) geltend zu machen, was als Hinderungsgrund ausreichend ist (BGH v. 11.6.1999 - V ZR 377/98, MDR 1999, 1132 = NJW 1999, 2896).

Hier handelt es sich aber ausschließlich um Schäden, die nach den Darlegungen der Klägerin durch "übertretendes" Niederschlagswasser entstanden sein sollen. Damit fehlt es bereits an einer ähnlichen Einwirkung i.S.d. § 906 BGB. Ähnliche Einwirkungen sind solche, die den in dieser Vorschrift genannten Beispielen vergleichbar sind, also unwägbare, im allgemeinen sinnlich wahrnehmbare Immissionen, welche auf natürlichem Wege zugeleitet werden (BGHZ 62, 361, 366). Das hat der BGH in der vom LG zitierten Entscheidung (BGHZ 90, 258) für ein Unkrautbekämpfungsmittel, welches durch Niederschlagswasser herangespült worden war, bejaht. Das Wasser war dort also verseucht.

In jener Entscheidung heisst es: (...) Verschuldensunabhängig wäre ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch der Klägerin gem. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Diese Regelung kommt in Betracht. Sie wäre unmittelbar anwendbar, wenn die beeinträchtigende Einwirkung des verseuchten (Unterstr. d. d. Senat) Wassers durch einen ortsüb...

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