Normenkette
StVO § 3 Abs. 1 S. 4, § 7 Abs. 2, § 9 Abs. 5, § 38
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 285/00) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 31.10.2000 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des LG Berlin – 24 O 285/00 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils (§ 543 Abs. 1 ZPO a.F.). Im Hinblick auf das Vorbringen in der Berufung weist er ergänzend auf Folgendes hin:
1. Entgegen der Ansicht des Beklagten brauchte der Kläger nicht damit zu rechnen, der vormalige Beklagte zu 1) würde trotz des für den Kläger grünen Ampellichtes aus Sicht des Klägers von links kommend versuchen,in die P.-Straße Fahrtrichtung Südwesten einzubiegen und dabei die Fahrspur des Klägers zu kreuzen. Zwar hat ein Kraftfahrer nach § 3 Abs. 1 S. 4 StVO seine Geschwindigkeit grundsätzlich so einzurichten, dass er noch innerhalb der überschaubaren Strecke anhalten kann. Das Sichtfahrgebot wird jedoch durch den Vertrauensgrundsatz begrenzt (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 3 StVO Rz. 14 m.w.N.). Dies bedeutet, dass ein Kraftfahrer nicht ständig darauf bedacht sein muss, im Bereich einer Kreuzung oder Einmündung werde ein Verkehrsteilnehmer aus dem Gegenverkehr unbedacht nach links abbiegen und seine Fahrbahn kreuzen. Dies gilt auch dann, wenn ihm die Sicht auf etwaige Linksabbieger durch andere Fahrzeuge verdeckt ist (vgl. KG, Urt. v. 1.10.2001 – 12 U 2139/00, KGReport Berlin 2002, 98 f. = NZV 2002, 230).
a) Allein der Umstand, dass unstreitig ein im mittleren Fahrstreifen der G.-Straße Fahrtrichtung Osten fahrender Lkw noch vor dem Kreuzungsbereich mit der P.-Straße angehalten hatte, ohne den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt zu haben, brauchte den Kläger noch nicht zu veranlassen, mit kreuzendem Fahrzeugverkehr zu rechnen.
Zutreffend weist der Kläger in der Berufungserwiderung darauf hin, dass der Lkw etwa deshalb angehalten haben konnte, weil vor ihm ein Pkw links abbiegen wollte. Auch bestand die Möglichkeit, dass auf der G.-Straße jenseits der Kreuzung mit der P.-Straße sich im mittleren Fahrstreifen ein Rückstau gebildet hatte, so dass der Lkw deshalb vor dem Kreuzungsbereich anhielt. Für den Kläger war dies nicht erkennbar, da ihm die Sicht nach links durch den Kastenwagen unstreitig versperrt war. Grundsätzlich durfte der Kläger in einer derartigen Verkehrslage gem. § 7 Abs. 2 StVO im rechten Fahrstreifen schneller fahren als die Fahrzeuge im mittleren und linken Fahrstreifen der G.-Straße. Insbesondere brauchte er nicht damit zu rechnen, ein Polizeifahrzeug werde ohne Inanspruchnahme der Sonderrechte gem. § 38 StVO aus dem Gegenverkehr sorgfaltswidrig nach links abbiegen, ohne das Aufleuchten des an der ampelgeregelten Kreuzung befindlichen grünen Linksabbiegerpfeils abzuwarten.
b) Soweit das Vorbringen des Beklagten in der Berufung so zu verstehen sein sollte, dass er auf Fälle der vorliegenden Art die sog. Lückenrechtsprechung für anwendbar hält, könnte dem nicht gefolgt werden. Diese Rechtsprechung besagt, dass der vorfahrtberechtigte Fahrzeugführer, der an einer zum Stillstand gekommenen Fahrzeugkolonne vorbeifährt, bei Annäherung an eine Kreuzung oder Einmündung auf größere Lücken in der Kolonne zu achten und sich darauf einzustellen hat, dass sie vom Querverkehr genutzt werden (BGH VersR 1969, 756; KG v. 4.3.1996 – 12 U 1032/95, NZV 1996, 365; VM 1998, 76 [78]; Urt. v. 23.3.2000 – 12 U 6653/98). Sie gilt jedoch beispielsweise nicht für Grundstücksausfahrten (KG VM 1998 Nr. 94; Urt. v. 23.3.2000 – 12 U 6653/98). Diese Rechtsprechung, die i.Ü. lediglich zu einer Mithaftung des Vorfahrtberechtigten zu 1/4 führen würde (vgl. KG, Urt. v. 23.3.2000 – 12 U 6653/98), passt für Unfälle an ampelgeregelten Kreuzungen nicht. In einem solchen Fall besteht kein Bedürfnis danach, dem Wartepflichtigen zu gestatten, sich durch eine vorhandene Lücke in die bevorrechtigte Straße vorzutasten. Vielmehr kann ihm zugemutet werden, abzuwarten, bis die Ampel für seine Fahrtrichtung grünes Licht abstrahlt. Dies gilt erst recht, wenn, wie im vorliegenden Fall, ein grüner Linksabbiegerpfeil vorhanden ist, bei dessen Aufleuchten ein gefahrloses Linksabbiegen grundsätzlich möglich ist. Im Übrigen ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass die im linken und mittleren Fahrstreifen der G.-Straße, Fahrtrichtung Osten, entstandene Lücke für den Kläger erkennbar gewesen sei. Dagegen spricht, dass dem Kläger durch den im mittleren Fahrstreifen haltenden Lkw unstreitig die Sicht versperrt war.
2. Entgegen der Ansicht des Beklagten war das LG auch nicht gehalten, die vom Beklagten benannten Zeugen PKA'in H. (Beifahrerin im Polizeifahrzeug) und G. (Fahrzeug-Fahrer im Querverkehr zum Kläger vor rotem Ampellicht wartend) zum Unfallhergang zu vernehmen. Denn der Beklagte hat sein Vorbringen, wonach es dem Kläger möglich gewesen sein soll, unfall...