Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO. Erforderliches Rügevorbringen bei Vorlage eines ärztlichen Attests

 

Orientierungssatz

Orientierungssätze:

1. Im Revisionsverfahren befreit die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung den Angeklagten nicht von dem Erfordernis, zu seinem Krankheitszustand im Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorzutragen.

2. Ein gesonderter Revisionsvortrag zu dem am Verhandlungstag bestehenden Krankheitszustand des Angeklagten ist nur dann entbehrlich, wenn und soweit die ärztliche Bescheinigung Angaben enthält, die hinreichend konkret und belastbar den Rückschluss zulassen, dass der diagnostizierte Krankheitszustand und dessen Symptome auch noch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorlagen.

 

Normenkette

StPO § 329 Abs. 1, § 344 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 27.03.2023)

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 15.07.2022; Aktenzeichen (571) 281 AR 242/22 Ns (100/22))

 

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. März 2023 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten durch Urteil vom 15. Juli 2022 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt und eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von 24 Monaten angeordnet. Auf die vom Angeklagten gegen dieses Urteil form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat das Landgericht Berlin für den 27. März 2023, 10:30 Uhr, Termin zur Berufungshauptverhandlung anberaumt und den Angeklagten sowie seinen Verteidiger ordnungsgemäß geladen.

Per E-Mail vom 26. März 2023 und 27. März 2023, jedenfalls vor Sitzungsbeginn, teilte der Verteidiger dem Gericht mit, der Angeklagte sei aufgrund einer grippalen Erkrankung nicht verhandlungsfähig. Da in der Berufungshauptverhandlung weder der Angeklagte noch sein Verteidiger erschienen sind, hat das Landgericht die Berufung des Angeklagten durch Urteil vom 27. März 2023 gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen und in den Urteilsgründen unter anderem ausgeführt, die Kammer sei durch den pauschalen Vortrag des Angeklagten, er sei wegen einer grippalen Erkrankung verhandlungsunfähig, nicht gedrängt gewesen, das Erforderliche aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung herzuleiten oder bei dem behandelnden Arzt nachzufragen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er neben der Sachrüge auf die Verfahrensrüge stützt, das Landgericht habe die Berufung zu Unrecht gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Zumindest hätte es bei Zweifeln Nachforschungen bei dem behandelnden Arzt vornehmen müssen. Hinsichtlich der Einzelheiten des Revisionsvorbringens wird auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 6. April 2023 Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil auf die Revision des Angeklagten aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück zu verweisen.

II.

Der Revision bleibt der Erfolg versagt.

Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe die Berufung des Angeklagten zu Unrecht verworfen, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht vorgelegen hätten, entspricht nicht den Darlegungsvoraussetzungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist deshalb bereits unzulässig. Danach muss die Verfahrensrüge den geltend gemachten Verfahrensmangel unter Darlegung bestimmter Tatsachen so genau und vollständig bezeichnen, dass das Revisionsgericht ohne Rückgriff auf die Akten prüfen kann, ob - unterstellt das tatsächliche Vorbringen trifft zu - ein Verfahrensfehler vorliegt; die Bezugnahme auf den Akteninhalt oder einzelne Schriftstücke ist unzureichend (Senat, Beschluss vom 26. März 2021 - (3) 121 Ss 27/21 (14/21) -; OLG Düsseldorf NZV 1990, 444; OLG Hamm VRS 59, 43; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 66. Aufl., § 344 Rdn. 21 m.w.N.).

a) Die formgerechte Begründung der Verfahrensrüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO erfordert demnach, dass der Angeklagte die die Entschuldigung begründenden bestimmten Tatsachen so schlüssig vorträgt, dass sich dem Revisionsgericht die Unmöglichkeit oder die Unzumutbarkeit der Terminsteilnahme konkret erschließt. Denn von maßgeblicher Bedeutung ist, ob der Angeklagte entschuldigt war (vgl. BayObLG, Beschluss vom 5. April 2023 - 203 StRR 95/23 -, juris). Behauptet der Angeklagte, er sei wegen einer Erkrankung außerstande gewesen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, sind von ihm hierzu die jedenfalls nach allgemeinem Sprachgebrauch zu benennende Art der Erkrankung, die konkrete Symptomatik und die daraus zur Terminszeit resultierenden konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen zu benennen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 5. Juni 2018 - 3 Ws (B) 161/18 - m.w.N. und 24. Oktober 2016 - 3 Ws (B) 504/16 - (beide zu § 74 Abs. 2 OWiG); BayObLG a.a.O. m.w.N.; OLG Hamm BeckRS 2013, 41).

Diesen Anforderungen genügt das Revisionsvorbringen ni...

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