Leitsatz (amtlich)

Zur Anwendbarkeit von § 64 Abs. 2 GmbHG in der bis zum 31.10.2008 geltenden Fassung auf Gesellschaften, die nach dem Recht anderer EU-Mitgliedstaaten gegründet worden sind.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 27.11.2008; Aktenzeichen 20 O 52/08)

 

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten zu 1) gegen das am 27.11.2008 verkündete Urteil des LG Berlin - 20 O 52/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte zu 1) darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages zzgl. 10 % abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zzgl. 10 % leistet.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht als Insolvenzverwalter der B//G//Ltd. (nachfolgend: Schuldnerin), einer formal in London ansässigen private limited company nach englischem Recht mit im Handelsregister eingetragener Zweigniederlassung in Berlin, Ansprüche wegen Barabhebungen vom Konto der Schuldnerin und wegen eines eingelösten Schecks geltend. Der in Berlin wohnende Beklagte zu 1) war Director der E. Ltd. mit Sitz in London, die keine eingetragene Zweigniederlassung in Deutschland hatte. Diese wiederum war Director der Schuldnerin. Der in Frankenthal (Deutschland) wohnende Beklagte zu 2), war ständiger Vertreter der Schuldnerin mit Einzelvertretungsbefugnis.

Für die Schuldnerin gab es weder Buchführung noch Kassenbuch. Sie unterhielt bei der Sparkasse ... ein Geschäftskonto, über das der Beklagte zu 2) verfügen konnte. Der Beklagte zu 1) hatte hierfür keine gesonderte Kontovollmacht.

Der Beklagte zu 2) gab im Jahr 2005 vor dem AG Frankenthal zum Aktenzeichen ... die eidesstattliche Versicherung ab.

Die Schuldnerin blieb der AOK ... in der Zeit vom 1.6. bis zum 31.8.2005 Sozialversicherungsbeiträge schuldig. Ein Vollstreckungsversuch der AOK ... hatte keinen Erfolg.

Vom Geschäftskonto der Schuldnerin wurden folgende Beträge in bar abgehoben:

Datum

Betrag

20.7.2005

1.800 EUR

2.8.2005

6.500 EUR

5.8.2005

4.000 EUR

11.8.2005

400 EUR

16.8.2005

150 EUR

17.8.2005

1.000 EUR

18.8.2005

12.000 EUR

19.8.2005

5.000 EUR

22.8.2005

10.000 EUR

24.8.2005

3.000 EUR

25.8.2005

3.000 EUR

29.8.2005

1.000 EUR

29.8.2005

1.000 EUR

1.9.2005

2.000 EUR

5.9.2005

700 EUR

8.9.2005

2.000 EUR

9.9.2005

2.000 EUR

12.9.2005

2.500 EUR

16.9.2005

3.000 EUR

19.9.2005

1.000 EUR

21.9.2005

1.000 EUR

23.9.2005

1.000 EUR

27.9.2005

1.000 EUR

28.9.2005

1.000 EUR

29.9.2005

1.100 EUR

4.10.2005

300 EUR

7.10.2005

9.000 EUR

10.10.2005

2.000 EUR

11.10.2005

2.000 EUR

12.10.2005

2.000 EUR

14.10.2005

4.000 EUR

17.10.2005

1.000 EUR

24.10.2005

5.000 EUR

31.10.2005

2.500 EUR

2.11.2005

900 EUR

8.11.2005

120 EUR

9.11.2005

9.000 EUR

17.11.2005

500 EUR

18.11.2005

1.900 EUR

25.11.2005

1.600 EUR

30.11.2005

50 EUR

gesamt

109.020 EUR

Die M. GmbH & Co. KG, ein Auftraggeber der Schuldnerin, leistete an diese eine Schlusszahlung von 22.813,82 EUR per Scheck. Der Scheck wurde von der I. & I. Ltd. eingelöst, das Konto der M. GmbH & Co. KG wurde per 29.12.2005 belastet. Zu den Zeitpunkten der Abhebungen und der Scheckeinlösung war die Schuldnerin zahlungsunfähig.

Der zunächst zum Sachverständigen im Insolvenzantragsverfahren bestellte Kläger forderte die Beklagten erfolglos zur Herausgabe von Kontounterlagen auf. Der Beklagte zu 2) erklärte ggü. dem Kläger, die M. GmbH & Co. KG habe zuletzt die Bezahlung einer fälligen Forderung verweigert, was nicht zutraf.

Der Kläger forderte den Beklagten zu 1) erfolglos mit Schreiben vom 22.5.2006 zur Zahlung auf. Er fragte bei der I. & I. Ltd. mit Schreiben vom 22.5.2006 an, ob ein Rechtsgrund für die Scheckzahlung vorliege. Das Schreiben war zustellbar. Eine Antwort erhielt der Kläger nicht. Die I. & I. Ltd. ist jetzt im Register des Companies House gelöscht, weshalb eine vom Kläger ausgesprochene Insolvenzanfechtung ins Leere ging. Die E. Ltd. ist jetzt ebenfalls beim Companies House gelöscht.

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, die Beteiligten hätten hier ein Konstrukt von verschiedenen Gesellschaften ohne nennenswertes Eigenkapital in der Rechtsform der Ltd. geschaffen, um Geschäfte abzuwickeln, die der deutschen Rechtsordnung widersprächen, und um dafür zu sorgen, dass eine Verfolgung der Ansprüche durch die gewählte Rechtsform erschwert werde. Sie hätten die Existenz der Schuldnerin durch "organisierte Bestattung" mutwillig vernichtet und diese damit in sittenwidriger Weise geschädigt. Mit der Bestellung des vermögenslosen Beklagten zu 2) zum ständigen Vertreter mit Einzelvertretungsbefugnis sei beabsichtigt worden, Gläubiger bei der Verfolgung ihrer Haftungsansprüche von vornherein zu entmutigen. Einen betrieblichen Hintergrund für die Barabhebungen oder einen Rechtsgrund im Verhältnis zur Schuldnerin für die Einlösung des Schecks durch die I. & I. Ltd. habe es nicht gegeben. Das Hauptzollamt Berlin ermittle wegen Schwarzarbeit, die die Schuldnerin beauftragt habe.

Der Beklagte zu 1) hat erstinstanzlich...

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