Leitsatz (amtlich)
1. § 47 Abs. 5 EnWG eröffnet die Klagemöglichkeit im Eilverfahren zu den ordentlichen Gerichten nur für rechtzeitig und wirksam gerügte Rechtsverletzungen, denen die Gemeinde nicht abhilft. Eine wirksame "Rüge" im Sinne des § 47 EnWG liegt nur vor, wenn der Antragsteller einen konkreten Rechtsverstoß beschreibt und begründet. Es reicht daher nicht aus, allgemeine Bedenken gegen eine Verfahrenshandlung zu formulieren oder Nachfragen zu stellen.
2. Befindet sich das Auswahlverfahren im Stadium nach Mitteilung der Eignungs- und Auswahlkriterien und vor Auswahl des künftigen Netzbetreibers, ist das Gerichtsverfahren nach § 47 Abs. 5 EnWG auf eine abstrakte Vorabprüfung der von der Kommune bekanntgegebenen Vorgaben für die Auswahlentscheidung gerichtet. Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle sind daher nicht sämtliche potenziellen Rechtsverletzungen der Kommune im Rahmen des laufenden Konzessionierungsverfahrens, sondern allein solche Rechtsverletzungen, die in den im Rahmen dieses Verfahrens erfolgten Verlautbarungen der Kommune manifestiert sind.
3. Bei der Überprüfung von Verfahrenshandlungen der Gemeinde auf ihre Transparenz und Diskriminierungsfreiheit im einstweiligen Verfügungsverfahren nach § 47 Abs. 5 EnWG erfolgt eine umfassende und detaillierte Kontrolle jedes einzelnen wirksam gerügten Rechtsverstoßes. Einer nur summarischen Prüfung steht die in § 47 Abs. 1 Satz 1 EnWG festgeschriebene materielle Präklusionswirkung entgegen.
4. Die Anforderung von vertraglichen Zusagen, Kontroll- und Mitwirkungsrechten sowie Sanktionen in Bezug auf die Kriterien "sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Energieversorgung" stellt weder ein aliud zu den Zielen des § 1 EnWG noch relativiert sie diese Ziele. Im Gegenteil wird erst durch die Einräumung von Vertragsrechten das Erreichen der Ziele des § 1 EnWG garantiert, da nur sie der Gemeinde nach Konzessionserteilung ermöglichen, die Realisierung des (rein deskriptiven) Konzepts gegenüber dem Konzessionär rechtlich durchzusetzen. Im Rahmen des aus der Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung folgenden Ermessensspielraums steht es der Kommune dabei frei, bestimmten Auswahlkriterien dadurch besonderes Gewicht zu verleihen, dass sie sich nur einige der konzeptionellen Angaben der Bieter zusätzlich durch unterschiedliche vertragliche Rechte absichern lässt.
5. Auch Eignungskriterien unterfallen bereits vor Auswahl des Konzessionärs der Rechtmäßigkeitskontrolle nach § 47 EnWG. Sinn und Zweck dieses Verfahrens gebieten eine weite Auslegung der Begriffe "Auswahl" in § 46 Abs. 4 Satz 1 und "Auswahlkriterien" in § 46 Abs. 4 Satz 4 EnWG. Die Vorgaben der Gemeinde für die Eignung des auszuwählenden Unternehmens sind darauf zu überprüfen, ob durch das Verfahren sichergestellt ist, dass dasjenige Unternehmen ermittelt wird, das nach seiner personellen und sachlichen Ausstattung, seiner fachlichen Kompetenz und seinem Betriebskonzept am besten geeignet ist, beim Netzbetrieb eine den Zielen des § 1 Abs. 1 EnWG entsprechende Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität zu gewährleisten.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 16 O 160/17 Kart) |
Tenor
1. Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das am 14. November 2017 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 16 O 160/17 Kart - wird zurückgewiesen.
2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zur Erteilung der Konzession für das Berliner Stromnetz. Das Verfahren befindet sich derzeit im Stadium vor der Auswahl des Konzessionärs.
Die Verfügungsklägerin (im Folgenden: "die Klägerin") war bis zum Ablauf des 31.12.2014 Konzessionärin für das Stromnetz in Berlin. Der Verfügungsbeklagte (im Folgenden: "der Beklagte") ist Eigentümer der öffentlichen Verkehrswege in Berlin und vergibt die für den Betrieb u.a. des Stromnetzes erforderlichen Wegenutzungsrechte.
Durch Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 20.12.2011 setzte der Beklagte das Verfahren zur Neueinräumung der Wegenutzungsrechte für den Betrieb des Stromnetzes für das gesamte Gebiet des Landes Berlin in Gang und bat am Abschluss eines entsprechenden Konzessionsvertrags interessierte Unternehmen um Einreichung ihrer Interessenbekundung. Zugleich wies er darauf hin, dass er erwäge, den öffentlichen Einfluss auf den Netzbestrieb im Wege eines eigenen Engagements zu stärken, und forderte daher die potenziellen Interessenten auch zur Bekundung eines etwaigen Interesses an einer Kooperation mit ihm, dem Land Berlin, auf. Die Klägerin bekundete innerhalb der vom Beklagten gesetzten Frist ihr Interesse sowohl an einer reinen Konzession als auch an einer Kooperation.
Um sich selbst am Verfahren beteiligen zu können, schuf der Beklagte im März 2012 nach Maßgabe des § 26 der Landeshaushaltsordnung (LHO) den Landesbetrieb "B. E." als rechtlich unselbständigen, abgesonderten Teil der Berliner Verwaltung mit einem nach § 26 Abs. 1 LHO zugewies...