Leitsatz (amtlich)
1. Bemessungsgrundlage des Mehrvergütungsanspruch aus § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B sind die tatsächlichen Mehr- oder Minderkosten, die dem Unternehmer aufgrund der Leistungsänderung entstehen, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.
2. Die Preiskalkulation des Unternehmers ist nur ein Hilfsmittel bei der Ermittlung dieser Kostendifferenz. Im Streitfall kommt es nicht auf die Kosten an, die der Unternehmer in seiner Kalkulation angesetzt hat, sondern auf diejenigen, die ihm bei Erfüllung des nicht geänderten Vertrages tatsächlich entstanden wären.
3. Allerdings dient die Kalkulation dazu, die Kosten anzugeben, die dem Unternehmer durch die Vertragsdurchführung entstehen.
Daraus folgt: Soweit die Kalkulation, auf die sich ein Unternehmer in einem Rechtsstreit bezieht, unstreitig bleibt, ist die von ihm auf dieser Grundlage errechnete Mehrvergütung im Zweifel auf Grundlage seiner tatsächlichen Mehrkosten ermittelt und also maßgeblich nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B.
4. Ist es nach der einem Vertrag zugrunde liegenden Leistungsbeschreibung unklar, ob der Unternehmer eine bestimmte Leistung in die vereinbarte Vergütung hätte einkalkulieren müssen, so gibt es keine allgemeine Regel, dass diese Unklarheit generell zu seinen Lasten oder umgekehrt zu Lasten des Bestellers zu lösen wäre. Maßgeblich ist vielmehr die Auslegung der Leistungsbeschreibung aus der Sicht einer objektiven Vertragspartei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 100 O 75/17) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 16. November 2018 wie folgt abgeändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 32.353,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 21.433,32 EUR seit dem 5. Mai 2016, aus 1.494,85 EUR seit dem 8. November 2016 und aus 9.424,94 EUR seit dem 24. Oktober 2017 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits haben in Abänderung der Kostenentscheidung des Landgerichts die Klägerin zu 1/3, die Beklagte zu 2/3 zu tragen.
4. Dieses und fortan auch das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jede Partei darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagten aus einem Bauvertrag auf die Zahlung von Mehrvergütung nach Leistungsänderung in Anspruch.
Die Beklagten planten im Jahr 2013 den Umbau des Bahnhofs B... . Die dazu erforderlichen Bau- und Planungsleistungen teilten sie in einzelne Vergabepakete auf, die sie öffentlich ausschrieben. Das umfangreiche Vergabepaket 12 betrifft den "Umbau Fernbahn Stadtbahnebene". Zu den Ausschreibungsunterlagen gehörten unter anderem ein Leistungsverzeichnis über 1059 Seiten (Anlage K 3) und diverse Pläne. Die Klägerin unterbreitete den Beklagten ein Angebot zu einer Vergütung von rund 27,2 Mio. EUR (netto), für das die Beklagten ihr im Jahr 2013 den Zuschlag erteilten. In § 3.2.4.8 des Vertrages vereinbarten die Parteien, dass die VOB/B Vertragsbestandteil ist. Wegen der Einzelheiten des Vertragsinhalts wird auf die Anlagen K 1 und K 2 verwiesen.
Aufgrund dieses Bauvertrags hat die Klägerin unter anderem eine Eisenbahnüberführung über die K... Straße zu errichten. Den Ausschreibungsunterlagen war ein Plan beigefügt, der die Überführung im Maßstab 1:100 in mehreren Querschnitten zeigt (Anlage B 5). Auf diesen Querschnitten sind die auf Bohrpfählen ruhenden Widerlager zu beiden Seiten der Überführung eingetragen. Auf der jeweiligen Hangseite dieser Widerlager sind unterschiedlich große Bereiche schraffiert und mit "Füllbeton" bzw. "Verfüllung (Magerbeton)" bezeichnet. Im Leistungsverzeichnis wird in den Positionen, die sich auf die Herstellung dieser Eisenbahnüberführung beziehen, die Verfüllung einzelner Bereiche hinter den Widerlagern mit Magerbeton nicht erwähnt.
Die von der Klägerin zu errichtende Brückenkonstruktion war an ihren Außenseiten jedenfalls teilweise durch gesonderte Bauteile aus Stahlbeton, sog. Randkappen abzuschließen. Die Klägerin hatte unterscheidende Typen von Randkappen einzubauen, die sich in den Abmessungen unterscheiden. Alle Randkappen sollten im Querschnitt eine Vertiefung aufweisen, sodass sie einen parallel zu den Gleisen verlaufenden Kabelkanal ausbilden. Den Ausschreibungsunterlagen waren Pläne beigefügt, die die Querschnitte der unterschiedlichen Randkappen zeigten (Anlage B 10). Auf sämtlichen Querschnitten ist über dem Kabelkanal eine Abdeckung eingetragen. Im Leistungsverzeichnis sind die diversen Randkappen in den Positionen 14.6.30, 17.7.60, 18.7.60, 19.6.90, 20.6.80 und 21.7.140 aufgeführt. Lediglich in den Ti...