Leitsatz (amtlich)
Zum Schutz des Fußgängerverkehrs sind bei Schnee und Glätte an die Streupflicht strenge Anforderungen zu stellen. Die Streupflicht findet ihre Grenze allein bei Vorliegen außergewöhnlicher Wetterverhältnisse, bei denen wiederholtes Streuen zwecklos ist.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 04.06.2002; Aktenzeichen 35 O 11/01) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten zu 1) bis 26) wird das am 4.6.2002 verkündete Urteil des LG Berlin - 35 O 11/01 - unter Berufungszurückweisung im Übrigen teilweise geändert und - soweit es die Beklagten zu 1) bis 26) angeht - insgesamt neu gefasst:
1. Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
2. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 6.135 EUR (= 12.000 DM) zu zahlen.
3. Die Beklagten zu 1) bis 26) werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 789,77 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 755,01 EUR seit dem 5.4.2001 und aus 34,76 EUR seit dem 9.1.2002 zu zahlen.
4. Gegenüber den Beklagten zu 1) bis 26) wird die Klage wegen eines Schadensersatzanspruches i.H.v. 370,18 EUR abgewiesen.
5. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind als Gesamtschuldner dem Kläger sämtliche weitere Schäden, die ihm in Zukunft aus dem Unfall vom 4.12.1998 auf dem Gehweg des Hauses K. in Berlin entstehen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagten zu 1) bis 26) tragen die Kosten der Berufung. Im Übrigen bleibt es bei der Kostenentscheidung des ersten Rechtszuges.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten zu 1) bis 26) wird gestattet, eine Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages zzgl. 10 % abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages zzgl. 10 % leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von den Beklagten wegen seines Sturzes am 4.12.1998 gegen 10.45 Uhr vor dem Hause K. in Berlin Schmerzensgeld, Schadensersatz und die Feststellung, dass die Beklagten ihm zukünftigen weiteren Schaden zu ersetzen haben. Die Beklagten zu 1) bis 26) sind Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft des Hauses K., der Beklagten zu 27) war mit der Räum- und Streupflicht vor dem Haus beauftragt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen der Anträge im ersten Rechtszug wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des am 4.6.2002 verkündeten Grund- und Teilurteils des LG Berlin verwiesen.
Die Beklagten zu 1) bis 26) haben mit einem bei Gericht am 21.6.2002 eingegangenen Schriftsatz Berufung gegen das ihnen am 10.6.2002 zugestellte Urteil eingelegt und diese mit einem am 9.8.2002 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Beklagten zu 1) bis 26) (künftig: die Beklagten) wenden sich unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen insb. wegen der geltend gemachten Schadenspositionen mit der Berufung gegen das erstinstanzliche Grund- und Teilurteil, soweit sie darin verurteilt worden sind.
Sie tragen vor, der Beklagte zu 27) habe am Unfalltag die ausreichende Menge von drei Säcken Granulat morgens bis 6.15 Uhr verstreut. Er habe damit seiner Verkehrssicherungspflicht genügt. Die Wetterverhältnisse, wie sie in der Auskunft des Meteorologischen Instituts dargestellt sind, hätten wegen der Niederschlagsmenge des Eisregens ein erneutes Streuen zur Glätteverhinderung sinn- und zwecklos gemacht. Es habe keine Pflicht existiert, unverzüglich die hier als Blitzeis zu beschreibende Eisglätte nach deren Entstehen zu bekämpfen, die Unfallstelle sei keine übermäßig frequentierte Straße gewesen. Die Beweislast für die Verletzung der Streupflicht trage dabei der Kläger. Es liege jedenfalls aber anspruchsausschließendes Mitverschulden vor.
Aufgrund der Aussage des Zeugen H. im ersten Rechtszug sei im Übrigen davon auszugehen, dass ihnen, den Beklagten, eine Verletzung von Überwachungspflichten nicht zur Last gelegt werden könne, es habe keine Beanstandungen der Arbeit des Beklagten zu 27) gegeben. Eine planmäßige Überprüfung sei deshalb entbehrlich gewesen.
Die Beklagten beantragen, das Grund- und Teilurteil des LG Berlin (35 O 11/01) vom 4.6.2002 aufzuheben und die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung als zutreffend und beschreibt seinen unfallbedingten Zustand als verschlechtert. Er bestreitet weiterhin, dass der Beklagte zu 27) am Unfalltag morgens überhaupt gestreut habe sowie die Verwendung von Granulat. Der Kläger geht von der grundsätzlichen Richtigkeit der eingeholten meteorologischen Auskunft zu den Wetterverhältnissen aus, im Bereich der konkreten Unfallstelle habe es aber gleichwohl bereits einige Zeit bevor er das Haus verlassen habe aufgehört zu regnen. Es habe eine Streupflicht des Beklagten zu 27) bestanden. Das Vorbringen der Beklagten ...