Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Beweiserhebung über Schuldfähigkeit nach Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch
Orientierungssatz
Orientierungssatz:
1. Hat der Angeklagte seine Berufung auf die Rechtsfolgenentscheidung beschränkt, so ist das Berufungsgericht - jedenfalls im Grundsatz - an die Feststellung gebunden, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung schuldfähig war.
2. Begehrt die Verteidigung gleichwohl, Beweis über die Schuldfähigkeit zu erheben, und soll damit die innerprozessuale Bindungswirkung erschüttert werden, so besteht insoweit - wiederum im Grundsatz - ein Beweisverbot.
3. Eine trotz Rechtsmittelbeschränkung veranlasste dezidierte Prüfung der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) ist auf Evidenzfälle beschränkt. Nur im Falle offensichtlicher Schuldunfähigkeit kann sich das Gericht über die durch die Beschränkung herbeigeführte Rechtskraft des Schuldspruchs hinwegsetzen.
Normenkette
StPO §§ 244, 318; StGB § 20
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 29.03.2021; Aktenzeichen (534) 273 Js 2761/20 Ls Ns (30/20)) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. März 2021 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das erweiterte Schöffengericht des Amtsgerichts Tiergarten hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und die Einziehung von Wertersatz angeordnet. Die auf die Rechtsfolgen beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht verworfen. Auf die gleichfalls beschränkte Berufung des Angeklagten hat die kleine erweiterte Strafkammer das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, bleibt erfolglos.
1. Keinen Erfolg hat zunächst die Beanstandung, das Landgericht habe einen auf die Feststellung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten gerichteten Beweisantrag prozessrechtswidrig abgelehnt. Es kann dahinstehen, ob die Begründung der Strafkammer trägt, der Beweiserhebung bedürfe es wegen ihrer eigenen Sachkunde nicht (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Denn jedenfalls war der Beweisantrag unzulässig (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), weil die Berufung zuvor auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden war und mithin prozessual bindend festgestellt war, dass der Angeklagte schuldfähig war.
a) Die Revision bringt gegen die Wirksamkeit der von der Verteidigung erklärten Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch nichts vor, und es ergeben sich diesbezüglich auch keine durchgreifenden Bedenken. Als Anknüpfungspunkt für eine Unwirksamkeit käme der Umstand in Betracht, dass das Amtsgericht keine Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des gehandelten Marihuanas getroffen hat.
Beim Fehlen von Angaben zum Wirkstoffgehalt des Betäubungsmittels ist eine Rechtsmittelbeschränkung unwirksam, wenn tatbestandliche Voraussetzungen - wie das Vorliegen einer nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG - in Frage stehen (vgl. KG NJW-Spezial 2017, 538; Beschluss vom 21. Februar 2012 - [4] 121 Ss 32/12 [45/12] -, juris; Beschluss 12. Januar 2017 - [5] 121 Ss 197/16 [56/16] -, juris). Dies war hier angesichts der offensichtlich geringen Mengen aber nicht der Fall.
Daneben ist durch das Kammergericht bereits entschieden worden, dass die Feststellungen unabhängig von der möglichen Würdigung als nicht geringe Menge keine ausreichende Grundlage für den Schuld- und Strafausspruch bilden, wenn Angaben zum gehandelten Gewicht der Betäubungsmittel und zum Wirkstoffgehalt fehlen (KG, Beschluss vom 21. Februar 2012, a. a. O.). Dies ist hier aber gleichfalls nicht der Fall, weil das amtsgerichtliche Urteil das Gewicht der gehandelten Blütenstände bis auf die dritte Kommastelle genau ausweist und zudem die erzielten Preise mitteilt.
b) Die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung führte dazu, dass das Landgericht die beantragte Beweiserhebung ablehnen musste.
aa) Das Landgericht war durch die wirksam erklärte Beschränkung der Berufung - jedenfalls im Grundsatz - an die Feststellung gebunden, dass der Angeklagte bei der Begehung der Taten schuldfähig war. Denn die Frage der Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) ist eine solche des Schuldspruchs und jene nach erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) eine solche des Strafausspruchs (OLG Köln NStZ 1984, 379; OLG Hamm, Beschluss vom 18. Februar 2021 - III - 4 RVs 11/21 - juris). Der Bundesgerichtshof ist in einer ähnlichen Konstellation so weit gegangen, dass im Falle einer Aufhebung des Urteils nur im Strafausspruch der neu befasste Tatrichter an den rechtskräftigen Schuldspruch selbst dann gebunden sei, wenn die erneute Verhandlung zum Strafausspruch ergibt, dass der Angeklagte schuldunfähig war (...