Leitsatz (amtlich)
Nach § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB wird zugunsten des Besitzers vermutet, dass er bei Erlangung des unmittelbaren Besitzes Eigenbesitzer sowie aufgrund des Eigenbesitzes Eigentümer geworden ist. Hat der Kläger das Fahrzeug unter Eigentumsvorbehalt gekauft, war er lediglich Fremdbesitzer und kann sich nicht auf die Vermutung des § 1006 BGB berufen.
Zu den Sorgfaltspflichten des Fahrers eines Wegerechtsfahrzeugs (§ 38 Abs. 1 StVO); je stärker der Sonderrechtsfahrer von den Verkehrsregeln abweicht, umso mehr muss er sich vergewissern, dass der Verkehr auf seine Signale reagiert.
Fährt ein ziviles Polizeifahrzeug mit Blaulicht und Einsatzhorn in die durch rotes Ampellicht gesperrte Kreuzung ein und wird deshalb das erste Fahrzeug des Querverkehrs abrupt abgebremst und fährt das zweite Fahrzeug (Kläger) auf, kommt eine Haftung des Halters des Sonderrechtsfahrzeugs nach einer Quote von 50 % in Betracht, wenn dieser die Beachtung der erforderlichen Sorgfalt durch den Sonderrechtsfahrer nicht beweisen und der Kläger den gegen ihn als Auffahrenden sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttern kann.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 23.07.2009; Aktenzeichen 41 O 69/09) |
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des LG Berlin vom 23.7.2009 - 41 O 69/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Unfallereignis geltend.
Der Kläger befuhr am 15.2.2008 mit einem BMW 645 Ci Coupé zunächst die Bundesautobahn 100 in nördlicher Richtung. An der Kreuzung Hohenzollerndamm/Konstanzer Straße zeigte die für ihn geltende Lichtzeichenanlage grünes Licht. Das vor ihm fahrende Kfz wurde im Kreuzungsbereich abrupt abgebremst, als von rechts ein Zivilfahrzeug der Berliner Polizei mit Martinshorn und Blaulicht bei rotes Licht abstrahlender Lichtzeichenanlage in die Kreuzung einfuhr. Der Kläger konnte sein Kfz nicht mehr rechtzeitig anhalten und stieß gegen das Heck des vor ihm haltenden Kfz.
Die Reparaturkosten an dem klägerischen Kfz beliefen sich auf 8.355,31 EUR. Unter Abzug einer Selbstbeteiligung i.H.v. 300 EUR erstattete die Vollkasko-Versicherung des Klägers 8.055,31 EUR.
Der Kläger hat behauptet, er sei Eigentümer des BMW 645 Ci Coupé. Er habe ausreichenden Sicherheitsabstand zu dem vor ihm fahrenden Kfz gehalten. Das Polizeifahrzeug sei mit erheblicher Geschwindigkeit von mindestens 50 km/h in die Kreuzung eingefahren.
Der Kläger hat unter Berücksichtigung des Quotenvorrechts 50 % des ihm entstandenen Schadens begehrt. Er hat im Einzelnen Erstattung der unquotierten Selbstbeteiligungskosten i.H.v. 300 EUR, quotierte Nutzungsausfallentschädigung i.H.v. 409,50 EUR, eine quotierte Kostenpauschale i.H.v. 10 EUR und unquotiert den Ersatz des von ihm behaupteten merkantilen Minderwerts i.H.v. 1.000 EUR verlangt. Ferner hat er die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt.
Der Beklagte hat behauptet, der Fahrer des Polizeifahrzeugs habe an der Haltelinie gestoppt und habe in Schrittgeschwindigkeit die Kreuzung überquert.
Der Beklagte hat gemeint, gegen den Kläger spreche der Beweis des ersten Anscheins, dass er den Unfall durch zu geringen Sicherheitsabstand, zu hohe Geschwindigkeit oder Unaufmerksamkeit verursacht und verschuldet habe.
Allein die Anwesenheit eines Fahrzeugs bei einem Unfall führe nicht zur Haftung von Fahrer und Halter. Den Kläger treffe daher die Darlegungslast für eine Verursachung des Unfalls durch ein Polizeifahrzeug und ein Verschulden seines Fahrers. Ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der Fahrt des Polizeifahrzeugs und dem Auffahren des Klägers habe nicht bestanden.
Wegen des Weiteren Parteivorbringens erster Instanz, der dort durchgeführten Beweisaufnahme und gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das LG hat der Klage mit Urteil vom 23.7.2009 in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz zu. Für sein Eigentum spreche die Vermutung des § 1006 BGB. Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs habe gegen § 35 Abs. 8 StVO verstoßen. Dem Beklagten, der wegen des Ausnahmecharakters des § 38 Abs. 1 S. 2 StVO die Umstände darlegen und beweisen müsse, aus denen die Berechtigung zum Vorrang gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern hergeleitet werde, sei weder der Beweis der Wahrnehmbarkeit des Martinshorns noch der Beweis gelungen, dass der Fahrer des Polizeifahrzeugs sein Fahrzeug bis zum Stillstand abgebremst und mit Schrittgeschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren sei. Das Beweisergebnis sei zu Lasten des Beklagten offen. Eine Haftungsquote von 50 % sei unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des auffahrenden Klägers, der zu schnell, zu dicht oder unaufmerksam gefahren sei, angemessen. Der Anspruch stehe dem Kläger hinsichtlich der Reparaturkosten und des merkantilen Minderwertes, den das LG gem. § 287 ZPO auf...