Harald Kinne, Hans-Jürgen Bieber
2.1 Vertragswidriger Gebrauch
Rz. 2
Ob der Gebrauch vertragswidrig ist oder nicht, bestimmt sich in erster Linie nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Sind diese auslegungsfähig und auslegungsbedürftig, ist der wirkliche Parteiwille zu ermitteln. Sind die Vereinbarungen lückenhaft, ist der vertragsgemäße Gebrauch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu ermitteln (Schmidt-Futterer/Flatow, § 541 Rn. 3). Sind die Parteivereinbarungen lückenhaft, so ist der vertragsgemäße Gebrauch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu ermitteln (AG Hamburg-Altona, Urteil v. 5.7.2019, 318c C 1/19, GE 2020, 122). Maßgebend sind die gesamten Umstände des Mietverhältnisses, insbesondere die Mietsache in ihrer Eigenart und deren beabsichtigte Nutzung sowie die Verkehrssitte unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben (BGH, Urteil v. 16.5.2007, VIII ZR 207/04, NJW-RR 2007, 1243; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.12.2007, I-24 U 185/07, 24 U 185/07, zitiert nach juris). Eine Ausweitung des Gebrauchs kann durch langjährige widerspruchslose Nutzung trotz Kenntnis des Vermieters in Betracht kommen (LG Hamburg, Urteil v. 4.4.1989, 16 S 236/88, WuM 1989, 497: zwanzigjährige Nutzung eines Gartens; vgl. aber KG, Urteil v. 14.12.2006, 8 U 66/06, GE 2007, 291: keine Erweiterung bei bloßer Gestattung der Nutzung; ebenso LG Saarbrücken, Urteil v. 7.6.1996, 13 B 13/96, WuM 1996, 468: bei vertragsloser Kellerraumnutzung). Die Zustimmung des Hausmeisters ersetzt im Regelfall nicht die Zustimmung des Vermieters (LG Düsseldorf, Urteil v. 18.2.1997, 24 S 413/96,NJWE-MietR 1997, 148).
Rauchen in der Wohnung und auf dem mitvermieteten Balkon gehört grundsätzlich zum vertragsgemäßen Mietgebrauch (BGH, Urteil v. 28.6.2006, VIII ZR 124/05, GE 2006, 1158; LG Düsseldorf, Urteil v. 28.9.2016, 23 S 18/15, ZMR 2016, 873; LG Paderborn , Urteil v. 23.3.2000, 1 S 2/00, NZM 2000, 710; AG Wennigsen , Urteil v. 14.9.2001, 9 C 156/01, WuM 2001, 487). Die Grenze zum vertragswidrigen Gebrauch wird erst dann überschritten, wenn der Mieter bei Ausübung des grundsätzlich vertragsgemäßen Rauchens in der Wohnung das Gebot der Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB nicht genügend beachtet, etwa indem er einfache und zumutbare Maßnahmen, wie z.B. ausreichendes Lüften oder Entsorgen der Asche, nicht ergreift, um die übrigen Parteien des Hauses nicht mehr als vermeidbar zu beeinträchtigen (LG Düsseldorf, Urteil v. 28.9.2016, 23 S 18/15, a.a.O.). Das Rauchen im Treppenhaus und im Hausflur kann dagegen untersagt werden (AG Hannover , Urteil v. 31.1.2000,70 II 414/99, NZM 2001, 520).
Geräusche, auch die älterer und kranker Menschen sind in einem Mehrparteienwohnhaus grundsätzlich sozialadäquat und hinzunehmen, sofern nicht ein konkret darzustellendes Maß überschritten wird (AG Berlin- Lichtenberg, Urteil v. 9.1.2012,113 C 244/11,iuris).Vertragsgemäß sind grundsätzlich die mit der Nutzung der Wohnung notwendigerweise verbundenen Geräusche bei der Reinigung, bei Reparatur- und Umbaumaßnahmen, beim Baden, beim Spielen von Kindern (LG Bad Kreuznach, Urteil v. 3.7.2001, 1 S 21/01, WuM 2003, 328), beim Abspielen von Radios und Fernsehgeräten, bei der Musikausübung, bei geselligem Beisammensein.
Die Geräusche dürfen jedoch grundsätzlich nicht Zimmerlautstärke überschreiten (LG Berlin, Urteil v. 19.10.1987, 13 O 2/87, NJW-RR 1988, 909; AG Neuss, Urteil v. 1.7.1988, 36 C 232/88, DWW 1988, 355; AG Düsseldorf, Urteil v. 28.7.1988, 20 C 79/87, DWW 1988, 357) und müssen die ortsüblichen Ruhezeiten (13.00–15.00 Uhr, 22.00–6.00 Uhr) berücksichtigen. In einem Mehrfamilienhaus verletzt das Üben und Spielen von Elektrogitarre und Schlagzeug unter Einsatz eines Verstärkers zur Mittagszeit und abends nach 20.00 Uhr die durch die Hausordnung und das Gebot der Rücksichtnahme gezogenen Grenzen (LG Berlin, Urteil v.15.3.2011,65 S 59/10,GE 2011, 752) (vgl. im Einzelnen Nachweise bei § 535 Rn. 38).
Das Musizieren kann auch formularmäßig auf bestimmte Zeiten für bestimmte Instrumente beschränkt werden (OLG Frankfurt/Main, Beschluss v. 22.8.1984, 20 W 148/84, NJW 1985, 2138; OLG München, Beschluss v. 19.3.1986, 21 W 698/86, NJW-RR 1986, 638; OLG Karlsruhe, Urteil v. 13.4.1988, 6 U 30/87, NJW-RR 1989, 1179; LG Nürnberg-Fürth, Urteil v. 17.9.1991, 13 S 5296/90, WuM 1992, 253), nicht aber insgesamt verboten werden (OLG Düsseldorf, Urteil. 19.12.2005, I-9 U 32/05, juris) ; eine Beschränkung auf zwei bis drei Stunden an Werktagen und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen, jeweils unter Einhaltung üblicher Ruhezeiten, kann als grober Richtwert dienen (BGH, Urteil v. 26.10.2018, V ZR 143/17, NZM 2019,86 = GE 2018, 1587 für nachbarrechtliche Ansprüche). Der Mieter ist berechtigt, sein Klavier (Flügel) in die angemietete, statisch geeignete Wohnung zu verbringen. Das Musizieren schließt den Gebrauch des Instruments zur Unterrichtsvorbereitung, die der Mieter als Musiklehrer täglich ausübt, ein (LG Frankfurt/Main, Beschluss v. 3.6.2005, 2/11 T 36/05, WuM 2006,...