Rz. 29
Gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses vor, wenn der Vermieter die Räume für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt, sog. Eigenbedarf.
Rz. 30
Die Vorschrift steht im Spannungsfeld der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes (Art. 14 Abs. 1 GG), die einerseits für den Vermieter als Eigentümer der Mieträume wirkt, auf die sich jedoch auch der Mieter berufen kann, da die Wohnung für ihn als Lebensmittelpunkt eine überragende Bedeutung zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse sowie zur freien Sicherung und Entfaltung seiner Persönlichkeit hat. Das BVerfG hat insofern allerdings einschränkend ausdrücklich festgestellt, dass das Besitzrecht des Wohnraummieters zwar als Eigentum i. S. d. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu qualifizieren sei, im Konfliktfall der geschützten Eigentumsposition des Vermieters aber nicht zwangsläufig vorgehe. Vielmehr sei es die Aufgabe des Gesetzgebers, die Befugnisse von Mieter und Vermieter unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Eigentumsgarantie ihre freiheitssichernde Wirkung in beide Richtungen entfaltet, im Rahmen des Mietrechts zuzuordnen und abzugrenzen. Der Gesetzgeber müsse dabei die schutzwürdigen Interessen beider Seiten berücksichtigen und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Bei der sich anschließenden Auslegung dieser Gesetze durch die Fachgerichte sei der Erlangungswunsch des Vermieters auf seine Ernsthaftigkeit, Vernünftigkeit und Nachvollziehbarkeit zu prüfen und gegen das verfassungsrechtlich geschützte Bestandsinteresse abzuwägen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 26.5.1993, 1 BvR 208/93, NJW 1993, 2035). Soweit das BVerfG in diesem Zusammenhang von einer Interessenabwägung spricht, ist damit eine Abwägung auf verfassungsmäßiger Grundlage zu verstehen, die den beiderseitigen Eigentumsschutz beachtet und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen vermeidet. Nicht gemeint ist die Interessenabwägung im Rahmen des § 574. Es ist also zunächst das berechtigte Interesse des Vermieters nach § 573 (aber eben unter Beachtung der beiderseitigen Eigentumsgarantie von Vermieter und Mieter i. S. d. Art. 14 Abs. 1 GG) zu prüfen. Wird das berechtigte Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses bejaht, werden erst danach die konkreten Interessen des Mieters im Rahmen der Sozialklausel des § 574 geprüft, wobei die entsprechende Interessenabwägung vorzunehmen ist.
Rz. 30a
Bei der Prüfung des berechtigten Interesses sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und die gegenseitigen Belange abzuwägen (BGH, Urteil v. 10.5.2017, VIII ZR 292/15, ZMR 2017, 722; im Anschluss an BGH, Urteil v. 29.3.2017, VIII ZR 45/16, ZMR 2017, 791; LG Berlin, Urteil v. 7.11.2018, 65 S 121/18, WuM 2019, 35; LG München I, Urteil v. 24.1.2018, 14 S 9552/17, ZMR 2018, 334). Ein berechtigtes Interesse des Vermieters ist dann zu bejahen, wenn für den Willen des Vermieters in den eigenen Räumen zu wohnen oder eine begünstigte Person dort wohnen zu lassen, ein vernünftiger, nachvollziehbarer Grund besteht (BGH, Urteil v. 13.10.2010, VIII ZR 78/10, WuM 2010, 757; BGH, Urteil v. 18.5.2005, VIII ZR 368/03, ZMR 2005, 702). Der Wille des Vermieters muss von vernünftigen und rechtlich billigungswerten Erwägungen getragen werden (LG Berlin, Urteil v. 20.1.2021, 64 S 50/20, WuM 2021, 310). Die Gerichte sind nicht berechtigt, ihre Vorstellungen von angemessenem Wohnen verbindlich an die Stelle der Lebensplanung des Vermieters (oder seiner Angehörigen) zu setzen (BGH, Urteil v. 4.3.2015, VIII ZR 166/14, WuM 2015, 304). Bei einem einheitlichen Mischmietverhältnis, das wegen überwiegender Wohnnutzung als Wohnraummietverhältnis anzusehen ist, braucht sich ein vom Vermieter geltend gemachter Eigenbedarf nur auf die Wohnräume zu beziehen (BGH, Urteil v. 1.7.2015, VIII ZR 14/15, WuM 2015, 553).
Zu der sich aus dem Eigentumsgrundrecht ergebenden Befugnis des Vermieters gehört auch die Entscheidung darüber, von welchem Zeitpunkt an ein Wohnbedarf Anlass für eine Eigenbedarfskündigung sein soll. Dabei ist zu beachten, dass der Wunsch, eine bestimmte Wohnung zu nutzen, sich nicht ausschließlich oder in erster Linie an objektiven Kriterien messen lässt, sondern vielmehr eng mit dem bisherigen Lebensweg eines Menschen, seinen Zukunftsplänen und seinen persönlichen Vorstellungen und Bedürfnissen zusammenhängt (BGH, Beschluss v. 23.10.2018, VIII ZR 61/18, NZM 2018, 988; BGH, Urteil v. 4.2.2015, VIII ZR 154/14, ZMR 2015, 368; BGH, Beschluss v. 23.8.2016, VIII ZR 178/15, ZMR 2016, 852).