5.1 Allgemeines
Rz. 70
Als ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses über Wohnraum ist es insbesondere anzusehen, dass der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde (§ 573 Abs. 2 Nr. 3). Diese Regelung ist mit Art. 14 GG vereinbar (BVerfG, Urteil v. 14.2.1989, 1 BvR 307/99, BVerfGE 79, 283).
Der Begriff der wirtschaftlichen Verwertung ist im Gesetz nicht definiert. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird eine Sache wirtschaftlich verwertet, wenn der ihr innewohnende materielle Wert realisiert wird. Dies geschieht in erster Linie durch Vermietung und Veräußerung. 2 Sonderfälle dieser beiden Verwertungsformen werden in § 573 Abs. 2 Nr. 3 HS 2 bzw. 3 angesprochen: Neben der Vermietung und Veräußerung liegt eine wirtschaftliche Verwertung danach unter anderem dann vor, wenn ein auf dem Grundstück stehendes Gebäude mit der Mietwohnung abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wird. In diesem Fall wird der Wert des Grundstücks durch die Nutzung des Neubaus realisiert. Anders verhält es sich dagegen beim ersatzlosen Abriss eines Gebäudes. Hierdurch können zwar Unkosten vermieden werden. Das stellt jedoch keine Realisierung eines dem Grundstück innewohnenden Wertes dar. Demgemäß ist der ersatzlose Abriss eines Gebäudes keine wirtschaftliche Verwertung i. S. des § 573 Abs. 2 Nr. 3 (BGH, Urteil v. 24.3.2004, VIII ZR 188/03, NJW 2004, 1736).
Rz. 71
Wegen der Einschränkung des § 573 Abs. 2 Nr. 3, 2. HS scheidet eine anderweitige Vermietung als Wohnraum aus, es sei denn, Umbaumaßnahmen gehen dieser voraus (z. B. Wohnungszusammenlegung). Ausgenommen ist gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3, 3. HS auch die beabsichtigte oder nach Überlassung an den Mieter vorgenommene Umwandlung in Wohnungseigentum.
5.2 Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung
5.2.1 Anderweitige wirtschaftliche Verwertung
Rz. 72
In der Praxis kommen vornehmlich 3 Fallgruppen für die wirtschaftliche Verwertung in Betracht:
- Verkauf (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss v. 4.6.1998, 1 BvR 1575/94, NZM 1998, 618; BVerfG, Beschluss v. 20.9.1991, 1 BvR 539/91, ZMR 1992, 17),
- Sanierung und Modernisierung (BGH, Urteil v. 15.4.2015, VIII ZR 281/13, WuM 2015, 416),
- Abriss mit dem Ziel eines Neubaus (BGH, Urteil v. 28.1.2009, VIII ZR 7/08, NJW 2009, 1200).
Rz. 73
Als Beispiele für Verkaufsgründe im Rahmen der Verwertungskündigung sind zu nennen:
- Verwendung des Verkaufserlöses, um für den Vermieter oder dessen Familienangehörige neuen Wohnraum zu schaffen oder einen Hausbau zu finanzieren (LG Frankenthal, Urteil v. 18.5.1990, 4 S 22/90, WuM 1991, 181; LG Düsseldorf, Urteil v. 20.11.1990, 24 S 490/90, WuM 1991, 593);
- Verwendung des Verkaufserlöses, um Belastungen abzulösen oder Verbindlichkeiten zu tilgen (LG Düsseldorf, Urteil v. 15.10.1991, 24 S 328/91, NJW-RR 1992, 522; LG Freiburg, Urteil v. 17.5.1990, 3 S 378/89, WuM 1991, 183; LG Stuttgart, Urteil v. 21.2.1990, 13 S 426/89, WuM 1991, 201);
- Verwendung des Verkaufserlöses, um die Auflösung und Abwicklung einer Gemeinschaft am Grundstück zu betreiben (AG Bayreuth, Urteil v. 21.9.1989, 4 C 78/89, WuM 1991, 180).
Rz. 74
Zur Sanierung und Modernisierung (grundsätzlich bejahend BayObLG, RE v. 17.11.1983, ReMiet 1/83, NJW1984, 372) zählt die Zusammenlegung der gekündigten Wohnung mit anderen Wohnungen, die Aufteilung einer 6-Zimmer-Wohnung in 3 abgeschlossene kleinere Wohnungen (LG Hamburg, Urteil v. 30.6.1989, 11 S 450/88, WuM 1989, 393; LG Düsseldorf, Urteil v. 30.4.1991, 24 S 788/90, ZMR 1991, 438). Bei einer beabsichtigten baulichen Zusammenlegung zweier Wohnungen muss der Vermieter darlegen, dass bei Ausspruch der Kündigungen weder tatsächliche noch rechtliche Gründe entgegen gestanden hätten oder er zumindest berechtigt davon ausgegangen wäre, etwaige Hinderungsgründe erfolgreich und dauerhaft zu beseitigen (LG Berlin, Urteil v. 20.9.2018, 67 S 16/18, ZMR 2019, 21).
Rz. 75
Der ersatzlose Abriss eines Gebäudes ist keine wirtschaftliche Verwertung im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 3. Eine Kündigung kann jedoch nach Maßgabe des generalklauselartigen Kündigungstatbestands des § 573 Abs. 1 Satz 1 erfolgen. Da der Kündigungstatbestand in § 573 Abs. 1 Satz 1 gleichgewichtig mit den in § 573 Abs. 2 genannten Kündigungsgründen ist, kommt es für das Vorliegen eines berechtigten Interesses darauf an, ob das geltend gemachte Interesse des Vermieters ebenso schwer wiegt wie die in § 573 Abs. 2 beispielhaft aufgeführten Kündigungsgründe (BGH, Urteil v. 16.12.2020, VIII ZR 70/19, GE 2021, 246).
Rz. 76
Ein vom Vermieter geplanter Abriss und Neubau stellt hingegen einen zulässigen Kündigungsgrund dar. Der Vermieter muss hierzu mitteilen, aus welchen Gründen er die vorhandene Bausubstanz nicht für erhaltenswert hält und welche baulichen Maßnahmen er stattdessen plant. Damit erhält der Mieter eine ausreichende Grundlage für die von ihm zu treffende Entscheidung, ob er der Kündigung widersprechen oder sie hinnehmen will (BGH, Urteil v. 9.2.2011, VIII ZR 155/10, NJW 2011, 1135). Ist z....