15 Unterhaltsbedarf
15.1 Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen
Der Unterhaltsbedarf richtet sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Nacheheliche Entwicklungen wirken sich auf die Bedarfsbemessung nach den ehelichen Lebensverhältnissen aus, wenn sie auch bei fortbestehender Ehe eingetreten wären oder in anderer Weise in der Ehe angelegt oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten waren (BGH, Urteil v. 7.12.2011, XII ZR 151/09, FamRZ 2012, 281).
Bei Aufnahme oder Ausdehnung einer Erwerbstätigkeit nach Trennung/Scheidung ist das (Mehr)einkommen, welches der Berechtigte erzielt oder pflichtwidrig zu erzielen unterlässt, als Surrogat der Haushaltsführung anzusehen (BGH, Urteil v. 7.12.2011, XII ZR 151/09, FamRZ 2012, 281).
Nachrangige Unterhaltsansprüche volljähriger Kinder sind bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs des Ehegatten zu berücksichtigen, wenn sie ein eheprägende Verbindlichkeit darstellt (BGH, Urteil v. 31.10.2012, XII ZR 30/10).
Ohne Auswirkung auf den Unterhaltsbedarf sind nacheheliche Entwicklungen, die keinen Anknüpfungspunkt in der Ehe haben, wie die Unterhaltspflicht gegenüber einem neuen Ehegatten, den Splittingvorteil aus der neuen Ehe abhängige Einkommenszuschläge, der Vorteil des Zusammenlebens in der neuen Ehe, die Unterhaltspflicht für ein nachehelich geborenes Kind (BGH, Urteil v. 7.12.2011, XII ZR 151/09, FamRZ 2012, 281).
Übersteigt der so ermittelte Bedarf des Berechtigten den Betrag, der dem Verpflichteten für den eigenen Unterhalt verbleibt (relativer Mangefall), führt dies zur Kürzung des Unterhalt des Berechtigten und des individuellen Selbstbehalts des Verpflichteten. Ist für den Unterhaltsberechtigten die Untergrenze seines eigenen Selbstbehalts erreicht (absoluter Mangelfall), ist der Unterhalt des Berechtigten entsprechend der in § 1609 BGB geregelten Rangefolge und bei Gleichrang anteilig zu kürzen (BGH, Urteil v. 7.12.2011, XII ZR 151/09, FamRZ 2012, 281).
15.2 Halbteilung und Erwerbstätigenbonus
Es gilt der Halbteilungsgrundsatz, wobei jedoch tatsächliche und fiktive Erwerbseinkünfte nur zu 6/7 zu berücksichtigen sind (Abzug von 1/7 Erwerbstätigenbonus vom gemäß Nr. 10 bereinigten Nettoeinkommen).
15.3 Konkrete Bedarfsbemessung
Macht der Unterhaltsberechtigte – vor Abzug seines eigenen Einkommens – einen Elementarbedarf von über 5.500 EUR geltend, so hat er seinen Bedarf konkret darzulegen.
Er kann seinen Bedarf konkret dadurch berechnen, dass er diejenigen Positionen benennt, die während des ehelichen Zusammenlebens nicht für die allgemeine Lebensführung verwendet wurden (z.B. Sparrate, anderweitige Vermögensbildung) und den sich daraus ergebenden Quotenunterhalt geltend machen.
Alternativ kann er auch die nach den ehelichen Lebensverhältnissen maßgeblichen Bedarfspositionen im Einzelnen darlegen. Die Höhe des Elementarunterhalts wird dabei durch den Quotenunterhalt gemäß Nr. 15.2 begrenzt.
Beispiel
M erzielt ein unterhaltsrechtlich bereinigtes Monatsnettoeinkommen von 20.000 EUR. F macht Trennungsunterhalt geltend. Sie reklamiert für sich einen Bedarf von 6.000 EUR. Diesen Bedarf kann sie wie folgt darlegen:
Alternative 1:
F legt dar, dass während der Ehe von den 20.000 EUR monatlich 6.000 EUR gespart wurden und der Rest von 14.000 EUR für die allgemeine Lebensführung verwendet worden ist.
Konkrete Bedarfsberechnung: (20.000 EUR - 6.000 EUR) x 3/7 = 6.000 EUR
Alternative 2:
F legt die einzelnen Positionen ihres Elementarbedarfs dar, z. B. für
- Wohnen 2.000 EUR
- Lebensmittel 1.000 EUR
- Friseur 100 EUR
- Autokosten 400 EUR
- Urlaub 1.000 EUR
- Kosmetik 100 EUR
- Kleidung 800 EUR
- Restaurantbesuche 200 EUR
- Kommunikation (Handy, Zeitung) 200 EUR
- Golf 200 EUR
Gesamt: 6.000 EUR
Unterhaltsbegrenzung: 20.000 EUR x 3/7 = 8.572 EUR. Die geforderten 6.000 EUR liegen unter diesem Grenzbetrag.
15.4 Vorsorgebedarf/ Zusatz- und Sonderbedarf
Werden Altersvorsorge-, Kranken-und Pflegeversicherungskosten vom Berechtigten gesondert geltend gemacht oder vom Verpflichteten bezahlt, sind diese vom Einkommen des Pflichtigen vorweg abzuziehen. Wegen des Vorrangs des Elementarunterhalts besteht ein Anspruch auf Altersvorsorgeunterhalt nur insoweit, als das Existenzminimum des Berechtigten (Nr. 23.2) gesichert ist.
Der Altersvorsorgeunterhalt ist regelmäßig nach der Bremer Tabelle zweistufig zu berechnen. Bei besonders günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen kommt eine einstufige Berechnung in Betracht. Der Altersvorsorgeunterhalt ist nicht auf den Höchstbetrag nach Maßgabe der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung beschränkt (BGH, Urteil v. 25.10.2006, XII ZR 141/04, FamRZ 2007, 117).
15.5 Bedarf bei Zusammentreffen von Unterhaltsansprüchen mehrerer Ehegatten und/oder Berechtigten nach § 1615l BGB
Beim Zusammentreffen von Unterhaltsansprüchen des geschiedenen Ehegatten und des mit dem Unterhaltspflichtigen zusammenlebenden (neuen) Ehegatten bemisst sich der Unterhaltsbedarf des geschiedenen Ehegatten anch den ehelichen Lebensverhältnissen ohne Berücksichtigung der nachehelichen Entwicklung...