Konkurrenz zwischen Aufstockungsunterhalt und Ehegattenunterhalt aus neuer Ehe

Leitsatz

Schuldet der wieder verheiratete Ehemann seiner geschiedenen Ehefrau aus kinderloser Ehe Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB, stellt sich die Frage, ob der in § 1582 BGB geregelte Vorrang bei langer Dauer der Ehe (Eheschließung im Jahre 1978 und Scheidung im Jahre 2005) auch gegenüber dem Unterhaltsanspruch der neuen Ehefrau nach § 1360 BGB gilt, die ein gemeinschaftliches Kind betreut.

Sachverhalt

Der 1949 geborene Kläger und die 1948 geborene Beklagte waren seit dem Jahre 1978 miteinander verheiratet und wurden im März 2005 geschieden. Die Ehe blieb kinderlos.

Der Kläger ist Lehrer und bezieht Gehalt nach der Besoldungsklasse A12. Die seit 1992 als Verkäuferin erwerbstätige Beklagte bezieht ein monatliches Einkommen von netto ca. 1.075,00 EUR monatlich. Im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens schlossen die Parteien einen Vergleich, in welchem sich der Kläger zur Zahlung nachehelichen Unterhalts von monatlich 600,00 EUR verpflichtete.

Im Jahre 2005 ging er eine neue Ehe ein und erkannte die Vaterschaft für sein bereits vor der Eheschließung geborenes Kind an. Er begehrte den Wegfall seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber der geschiedenen Ehefrau ab Oktober 2005. Seine hierauf gerichtete Klage wurde abgewiesen. Zur Begründung führte das erstinstanzliche Gericht aus, es sei dem Kläger mit Rücksicht auf die mit der Eheschließung verbundene Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse zuzumuten, an dem im Jahre 2005 geschlossenen Vergleich festzuhalten.

Hiergegen legte der Kläger Berufung ein. Sein Rechtsmittel hatte teilweise Erfolg.

Entscheidung

Das OLG geht in seiner Entscheidung von der Verfassungswidrigkeit der Rangfolge in § 1582 Abs. 1 S. 2 wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 GG aus. § 1582 Abs. 1 S. 2 BGB bestimme, dass der geschiedene Ehegatte bei einer Ehe von langer Dauer dem neuen Ehegatten auch dann im Rang vorgehe, wenn dieser wegen Betreuung eines gemeinsamen Kindes einen Unterhaltsanspruch nach § 1570 BGB hätte. Aus dem besonderen Schutz des minderjährigen Kindes leitet das OLG nach Art. 6 GG eine rangmäßige Gleichstellung des dieses Kind betreuenden Ehegatten mit der geschiedenen Ehefrau des Unterhaltsschuldners ab, wenn gleichzeitig der Aufstockungsunterhalt der geschiedenen Ehefrau ausschließlich auf einer Einkommensdifferenz beider Einkünfte beruht und ehebedingte Nachteile - vor allem wegen der Betreuung eines gemeinsamen Kindes während der Ehe - nicht eingetreten sind. Die Ehe der Parteien war kinderlos geblieben.

Das OLG hat die Frage der Verfassungsmäßig des § 1582 Abs. 1 BGB in der konkreten Fallkonstellation nicht dem BVerfG nach Art. 100 vorgelegt, sondern ist im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 1582 Abs. 1 S. 2 BGB zu dem Ergebnis gelangt, dass trotz 23-jähriger Ehedauer eine Ehe von langer Dauer i.S.d. § 1582 Abs. 1 S. 2 BGB nicht vorliege. Es ging in seiner Entscheidung von einer Gleichrangigkeit der beiden Ansprüche aus.

Die Unterhaltsansprüche beider Unterhaltsberechtigter bestimmte das OLG jeweils gesondert. In Bezug auf den einkommenssteuerlichen Vorteil aus dem Ehegattensplitting gem. § 26 EStG beließ es das OLG bei der Zuordnung zur neuen Ehe, zog den Splittingvorteil aber von der gesondert für die Ehefrau des Unterhaltsschuldners ermittelten Quote von seinem Einkommen ab, das ferner um den Erwerbstätigenbonus bereinigt wurde, um bei der Unterhaltsbestimmung gleiche Einkommensverhältnisse bei beiden Unterhaltsberechtigten zu erlangen.

Danach teilte das OLG die nach Abzug des Kindesunterhalts und des angemessenen Selbstbehalts des Unterhaltsschuldners verbleibende Verteilungsmasse zwischen beiden Unterhaltsberechtigten nach den Verhältnissen beider Unterhaltsansprüche auf.

Hinweis

Mit In-Kraft-Treten des neuen § 1609 BGB-E (ab dem 1.7.2007) gilt eine neue Rangfolge. Es muss daher in laufenden Verfahren ab diesem Zeitpunkt das neue Recht grundsätzlich angewandt werden. Existiert bereits ein Unterhaltstitel, greifen im Abänderungsverfahren nach § 323 ZPO die Übergangsregelungen ein.

Link zur Entscheidung

OLG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 26.09.2006, 12 UF 74/06