VVG § 178 § 180; AUB 2000 Nr. 10.3
Leitsatz
1. Die Regelung in Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (hier: Nr. 10.3 AUB 2000), wonach der Vertrag durch den VN oder den VR durch Kündigung beendet werden kann, wenn der VR eine Leistung erbracht hat, ist dahin auszulegen, dass das Kündigungsrecht mit der ersten Leistung beginnt.
(amtlicher Leitsatz)
2. Verfolgt ein VN seinen Anspruch auf eine Invaliditätsleistung innerhalb der ersten drei Jahre nach dem Unfallereignis und verbindet er so Erst- und Neubemessung, so steht der Invaliditätsgrad zum Ende des dritten Jahres zu seiner Beweislast.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 18.10.2017 – IV ZR 188/16
Sachverhalt
Der Kl. nimmt die Bekl. auf Leistungen aus einer Unfallversicherung wegen zweier Unfälle v. 8.10.2009 und 2.3.2010 seiner mitversicherten und inzwischen verstorbenen Ehefrau in Anspruch. Am 23.4.2008 erlitt diese bei einem Sturz eine Schenkelhalsfraktur links, die mit einem künstlichen Hüftgelenk versorgt wurde. Aufgrund dieses Unfalles zahlte die Bekl. gem. Schreiben v. 9.7.2008 Krankenhaustagegeld, v. 19.5.2009 einen Invaliditätsvorschuss sowie gem. Abfindungserklärung v. 21.7.2009 einen Endbetrag. Mit Schreiben v. 13.8.2009 kündigte die Bekl. die Unfallversicherung unter Bezugnahme auf den Unfall v. 23.4.2008. Am 8.10.2009 stürzte die Ehefrau auf die linke Schulter und erlitt eine Oberarmkopffraktur. In einem für die Bekl. erstatteten Gutachten v. 8.11.2010 stellte der Sachverständige P als Folge dieses Unfalles eine drastische Einschränkung der Beweglichkeit des linken Schultergelenks fest und bemaß die Funktionsminderung mit 10/20 Armwert. Ferner stürzte die Ehefrau am 2.3.2010 und zog sich eine Tibiakopffraktur am linken Knie zu. Der Kl. nimmt die Bekl. auf Zahlung von Krankenhaustagegeld sowie Invaliditätsentschädigung für die beiden Unfälle v. 8.10.2009 und 2.3.2010 in Anspruch.
2 Aus den Gründen:
[8] "… Die Revision der Bekl. hat teilweise Erfolg. In diesem Umfang führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BG."
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung überwiegend nicht stand.
[9] 1. Unfall v. 8. 10. 2009
[10] Entgegen der Auffassung der Revision bestand der Unfallversicherungsvertrag zwischen den Parteien zum Zeitpunkt des Unfalles v. 8.10.2009 (Oberarmkopffraktur) allerdings noch. Die von der Bekl. erklärte Kündigung war nicht wirksam, da die Kündigungsfrist gem. Ziff. 10.3 S. 2 AUB 2000 nicht eingehalten wurde. Die einmonatige Kündigungsfrist begann mit der Zahlung des Krankenhaustagegeldes durch die Bekl. gem. Schreiben v. 9.7.2008 und war zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung am 13.8.2009 abgelaufen.
[11] aa) Die Frage, wie die Kündigungsfrist in Ziff. 10.3 AUB 2000, die den in der Unfallversicherung verwendeten Standardbedingungen entspricht (vgl. etwa Ziff. 10.3 AUB 2010 … ), zu berechnen ist, wird unterschiedlich beurteilt.
Nach überwiegender Auffassung entsteht das Kündigungsrecht für jede Vertragspartei, sobald eine Leistung aus dem Versicherungsvertrag erbracht wurde, mithin mit der ersten Leistung (vgl. LG München I VersR 1981, 249; HK-VVG/Rüffer, 3. Aufl., Ziff. 10 AUB 2010 Rn 5; Grimm, Unfallversicherung 5. Aufl. Ziff. 10 AUB Rn 20, 26 … ). Nach der Gegenauffassung wird das Kündigungsrecht demgegenüber mit jeder Teilleistung neu begründet (so insb. Jacob, Unfallversicherung AUB 2014, 2. Aufl., Ziff. 10 Rn 6 … ).
[12] bb) Die überwiegende Auffassung trifft zu. Hierfür spricht bereits der Wortlaut der Klausel. Danach kann der Vertrag durch jede Vertragspartei beendet werden, wenn der VR “eine Leistung erbracht‘ hat. Bei der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen kommt es nach st. Rspr. des Senats darauf an, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. … Auf dieser Grundlage wird ein durchschnittlicher VN die Klausel dahin verstehen, dass das Kündigungsrecht einsetzt, sobald eine Leistung seitens des VR erbracht worden ist. Dem Klauselwortlaut lässt sich an keiner Stelle entnehmen, dass das Kündigungsrecht mit weiteren Leistungen jeweils neu entsteht. Anderenfalls hätte dies zur Folge, dass dem VR je nach Anzahl der von ihm erbrachten Teilleistungen eine für den VN unabsehbare Zahl von Kündigungsrechten zustünde. Ebenso wenig ist der Klausel zu entnehmen, dass das Kündigungsrecht und damit der Fristlauf erst mit der Abschlussleistung des VR einsetzt, durch die die Gesamtentschädigung geleistet wird. Dies wird dem VN im Wortlaut der Klausel, die unterschiedslos auf “eine Leistung‘ abstellt, nicht verdeutlicht.
[13] Auch aus dem dem VN erkennbaren Sinn und Zweck der Klausel erschließt sich ihm nicht, dass dem VR jeweils ein neues Kündigungsrecht für den gesamten Vertrag zusteht, sobald er eine Teilleistung erbracht hat. Das Sonderkündigungsrecht nach Eintritt des Versicherungsfalles und Leistung des VR soll einerseits dem VN die Möglichkeit geben, sich vom Vertrag lösen zu können, wenn er mit der Regulierungspraxis...