Bundesgerichtshof gibt einen Rahmen vor
Ausführlich hat sich der BGH mit einem Trompete spielenden Berufsmusiker in einem Nachbarreihenhaus auseinandergesetzt. Dieser hatte entweder im Dachgeschoss (DG) oder im Erdgeschoss (EG) rund 180 Minuten am Tag, aber nicht mehr als an zwei Tagen die Woche (unter Berücksichtigung der Mittags- und Nachtruhe) geübt. Außerdem unterrichtete er zwei Stunden wöchentlich einen Schüler. Wurde im DG geübt, war dies im EG-Wohnzimmer des Nachbarn gar nicht und in dessen DG-Schlafzimmer nur leise zu hören. Wurde im Wohnzimmer geübt, war dies im angrenzenden Wohnzimmer des Nachbarn als "schwache Zimmerlautstärke" zu hören. Der Nachbar verlangte Unterlassung.
Einem Nachbarn, der durch Geräuschimmissionen gestört wird, steht grundsätzlich ein Unterlassungsanspruch zu. Allerdings ist dieser Anspruch ausgeschlossen, wenn die mit dem Musizieren verbundenen Beeinträchtigungen nur unwesentlich sind. Das ist anzunehmen, wenn sie in dem Haus des Nachbarn nach dem Empfinden eines "verständigen Durchschnittsmenschen" nicht als wesentliche Beeinträchtigung einzuordnen sind; die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Lärmbelästigung kann nur aufgrund einer wertenden Betrachtung festgesetzt werden.
Nach Auffassung des BGH ist das hörbare Musizieren "gerade deshalb in gewissen Grenzen hinzunehmen, weil es einen wesentlichen Teil des Lebensinhalts bildet und von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude und das Gefühlsleben sein kann; es gehört – wie viele andere übliche Freizeitbeschäftigungen – zu der grundrechtlich geschützten freien Entfaltung der Persönlichkeit". Dabei ist zu beachten, dass ein Berufsmusiker nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte hat als ein Hobbymusiker. Auf der anderen Seite soll aber auch dem Nachbarn die eigene Wohnung die Möglichkeit zur Entspannung und Erholung eröffnen und die dazu jeweils notwendige, von Umweltgeräuschen möglichst ungestörte Ruhe bieten.
Diesen widerstreitenden nachbarlichen Interessen kann nur durch eine ausgewogene zeitliche Begrenzung des Musizierens begegnet werden. Eine zeitliche Regelung im Einzelnen richtet sich dabei stets nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Ausmaß der Geräuscheinwirkung, der Art des Musizierens und den örtlichen Gegebenheiten.
Richtwerte
- Als grober Richtwert kann eine Beschränkung auf 2 bis 3 Stunden an Werktagen und 1 bis 2 Stunden an Sonn- und Feiertagen, jeweils unter Einhaltung der üblichen Ruhezeiten in der Mittags- und Nachtzeit, dienen. Auch die zeitlich begrenzte Erteilung von Musikunterricht kann je nach Ausmaß der Störung noch als sozialadäquat anzusehen sein. Die Festlegung der einzuhaltenden Ruhezeiten muss sich an den üblichen Ruhezeiten orientieren; im Einzelnen haben die Gerichte einen gewissen Gestaltungsspielraum. Ein nahezu vollständiger Ausschluss für die Abendstunden und das Wochenende, wie ihn das Berufungsgericht vorgesehen habe, kommt nicht in Betracht. Dies lässt nämlich außer Acht, dass Berufstätige und Schüler häufig gerade abends und am Wochenende Zeit für das Musizieren haben.
- Die örtlichen Gegebenheiten sind ebenfalls von Bedeutung. Können die Geräuscheinwirkungen erheblich verringert werden, indem in geeigneten Nebenräumen musiziert wird, kann es aufgrund nachbarlicher Rücksichtnahme geboten sein, das Musizieren in den Hauptwohnräumen zeitlich stärker einzuschränken; das gilt insbesondere dann, wenn aufseiten des Nachbarn besondere Umstände wie eine ernsthafte Erkrankung eine gesteigerte Rücksichtnahme erfordern. Das Musizieren in den Hauptwohnräumen des Hauses kann nicht gänzlich untersagt werden.
Die Grundsätze dieser Entscheidung können auch auf Mietverhältnisse übertragen werden.