Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessensausübung bei der Aufhebung der Prozesskostenhilfe im Nachprüfungsverfahren. Fehlerhafter Nichtgebrauch des Ermessens bei unterlassener Mitteilung einer Anschriftenänderung
Leitsatz (amtlich)
Die Partei muss sich auch im Rahmen des Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahrens das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. An das Vorliegen eines atypischen Falles, der im Rahmen von § 124 Abs. 1 ZPO nF eine Ermessensentscheidung eröffnet, dürfen unter Berücksichtigung des Charakters der Prozesskostenhilfe als besonderer Form der Sozialhilfe keine sehr hohen Anforderungen gestellt werden.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, § 120a Abs. 2 S. 1, § 124 Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
ArbG Pforzheim (Aktenzeichen 5 Ca 109/14) |
Gründe
I.
Der Antragstellerin wurde mit Beschluss vom 23.06.2014 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt. Am 13.10.2014 wurde die Vergütung festgesetzt. Am selben Tag wurde eine Verfügung an die Antragstellerin direkt und an ihre Prozessbevollmächtigten versandt, in der es u. a. heißt:
"Die Entscheidung über zu leistende Zahlungen kann innerhalb von 4 Jahren nach Beendigung der Rechtssache geändert werden, wenn sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich verbessert haben. Bis zum Ablauf dieses Zeitraums besteht die Verpflichtung, dem Gericht wesentliche Verbesserungen der wirtschaftlichen Verhältnisse oder eine Änderung der Anschrift unverzüglich mitzuteilen ...
Bei einem Verstoß gegen diese Pflichten muss mit einer Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe gerechnet werden. Dies würde zu einer Nachzahlung der gesamten Kosten führen.
Das Gericht wird die Einhaltung dieser Pflichten von Amts wegen überprüfen.
...
Die Prozessvollmacht wirkt auch für das Überprüfungsverfahren fort. Sollte die Prozessvollmacht nicht mehr bestehen, wird um ausdrückliche Erklärung gebeten."
Das direkt an die Antragstellerin gerichtete Schreiben gelangte am 16.10.2014 an das Arbeitsgericht zurück mit dem Vermerk "Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln". Eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt vom selben Tag ergab, dass sich die Anschrift der Antragstellerin geändert hatte. Die Verfügung vom 13.10.2014 wurde erneut an die Antragstellerin direkt übersandt. Mit Schreiben vom 16.10.2014 (ABl. 108) erhielten die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 06.11.2014. Mit Schreiben vom 03.11.2014 (ABl. 112) traten diese der beabsichtigten Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung entgegen. Die Antragstellerin sei im September 2014 umgezogen und habe die Änderung der Anschrift am 10.09.2014 telefonisch in der Kanzlei mitgeteilt. Die entsprechende Mitteilung an das Gericht sei wegen eines Kanzleiversehens versäumt worden. Das Versäumnis sei erst mit Schreiben vom 16.10.2014 aufgefallen. Nach Beteiligung der Staatskasse erhielten die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom 13.11.2014 (ABl. 116) erneut Gelegenheit zur Stellungnahme bis 04.12.2014, wovon sie keinen Gebrauch machten.
Mit Beschluss vom 11.12.2014 (ABl. 118) wurde die mit Beschluss vom 23.06.2014 bewilligte Prozesskostenhilfe aufgehoben. Gegen den am 12.12.2014 zugestellten Beschluss wurde mit Schriftsatz vom 12.01.2015 sofortige Beschwerde eingelegt und hilfsweise beantragt, der Antragstellerin Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass ihr weder eine Absicht noch eine grobe Nachlässigkeit vorgeworfen werden könne. Ein eventuelles Verschulden auf Seiten des Prozessbevollmächtigten könne nicht gleichgestellt, respektive nicht zugerechnet werden. Die Aufhebung der bewilligten Prozesskostenhilfe habe unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Antragstellerin, deren wirtschaftliche und persönliche Verhältnisse sich vorliegend nämlich nicht geändert/verbessert hätten.
Die Bezirksrevisorin beim Landesarbeitsgericht ist der Auffassung, dass bei dem Verstoß gegen die Verpflichtung, die Anschriftenänderung dem Gericht unverzüglich mitzuteilen, angesichts der vorherigen Belehrungen von grober Nachlässigkeit auszugehen sei. § 124 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO sehe in diesem Fall zwingend eine Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung vor.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 78 Satz 1 ArbGG, 127 Abs. 2, 567 Abs. 1 und 2, 569 Abs. 1 und 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
2. Sie ist auch in der Sache begründet. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO liegen nicht vor. Es ist von einem atypischen Fall auszugehen, sodass anstelle der regelhaften Aufhebung eine Ermessensentscheidung zu treffen ist.
Nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Parteien entgegen § 120a Abs. 2 Satz 1 bis 3 dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änd...