Entscheidungsstichwort (Thema)
Offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle nach § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG. § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG: Rechtsanspruch als Gegenstand der Beschwerde bei verunglimpfenden Äußerungen eines Arbeitnehmers gegenüber einem anderen Arbeitnehmer
Leitsatz (redaktionell)
Eine evidente Unzuständigkeit der Einigungsstelle ist anzunehmen, wenn sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bei fachkundiger Beurteilung sofort und erkennbar keinem mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des Betriebsverfassungsgesetzes zuordnen lässt. Bei einer Beschwerde ist ein solcher Fall grundsätzlich zu bejahen, wenn es sich bei dem Gegenstand der Beschwerde um einen Rechtsanspruch im Sinne von § 85 Abs. 2 S. 3 BetrVG handelt.
Normenkette
ArbGG § 98 Abs. 1 S. 2; BetrVG § 85 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
ArbG Mannheim (Beschluss vom 28.10.2005; Aktenzeichen 6 BV 44/05) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird derBeschluss des Arbeitsgerichts Mannheim – Kammern Heidelberg – vom28.10.2005 – 6 BV 44/05 – abgeändert:
Die Anträge des Betriebsrats werden zurückgewiesen.
Tatbestand
A.
Der Betriebsrat verlangt im Zusammenhang mit einer an ihn gerichteten Beschwerde die Bildung einer Einigungsstelle.
Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der beruflichen Rehabilitation. In ihrer Einrichtung werden auch erkrankte und schwerbehinderte Jugendliche behandelt. Unter Federführung ihres ärztlichen Leiters Dr. H. plant die Arbeitgeberin, schwer kranke jugendliche Heimbewohner in einer Regelwohngruppe zusammenzufassen und sie von spezialisierten Fachkräften betreuen zu lassen.
Dieses veränderte Pflege- und Wohnkonzept stieß während einer Abteilungsversammlung der Internate des Bildungszentrums am 24.08.2005 auf Kritik der Vertreter des Betriebsrats. An der Abteilungsversammlung nahmen für den Betriebsrat Herr M. und Herr S. teil, für die Arbeitgeberin ihr Mitgeschäftsführer, Herr P., und ihr leitender Arzt, Herr Dr. H. Herr M. präsentierte eine Folie, die die anwesenden Vertreter der Arbeitgeberin so verstanden, dass der Betriebsrat ihnen mit ihr Isolation und Ausgrenzung von Heimbewohnern vorwerfe. Außerdem kritisierten die Mitglieder des Betriebsrats in der Abteilungsversammlung den Ausspruch einer Abmahnung gegenüber einer Mitarbeiterin. Herr Dr. H. fühlte sich durch die Äußerungen von Herrn M. fachlich und persönlich diskreditiert. Er erklärte deshalb im Verlauf der Diskussion gegenüber Herrn M.: „Sie lügen”, „Sie sind ein Lügner” und „Sie sind ein Brunnenvergifter”.
Auf die Aufforderung des Betriebsrats vom 25.08.2005, sich zu entschuldigen, reagierte Herr Dr. H. mit Schreiben vom 29.08.2005 (Anlage 2 der Antragsschrift vom 06.10.2005, Blatt 6 der Akte des Arbeitsgerichts). Dort führte er Folgendes aus:
„… In der Tat habe ich in der Abteilungsversammlung Herrn M. einen Lügner und Brunnenvergifter genannt. Ich betrachte dies als einen Zuruf nicht anders, als sie der Genosse Wehner einst im Bundestag und zwar nicht selten und auch nicht zimperlich vorbrachte. Ihre moralische Entrüstung scheint mir übertrieben und einem agitativen Zwecke zu dienen.
Mein Zwischenruf richtete sich auf folgende Tatbestände: Herr M. stilisierte die Abmahnung einer Pflegekraft zu einem gerechtfertigten, geradezu aufrechten Widerstand gegen eine vermeintlich unverantwortliche Politik der GF gegenüber den pflegerischen Nachtwachen, wissend – und zwar aus erster Hand –, dass die Abmahnung durch ein klares Betrugsmanöver der betreffenden Person hinsichtlich der Arbeitszeit begründet war und ein weiterer abmahnungswürdiger Sachverhalt, nämlich der Bruch interner Betriebsgeheimnisse, großzügig nicht geahndet wurde. Er wusste auch, dass eine korrigierende Gegenrede sich aufgrund des persönlichen Datenschutzes im Rahmen dieser Versammlung verbot.
Bezeichnenderweise wurde in der Sache keine juristische Gegenrede geführt.
Brunnenvergiftung nenne ich eine abqualifizierende Rede, die aus der Idee einer medizinischen Wohnform einen Raum der Ausgrenzung, Isolation und – wie ebenfalls schon gehört – der Ghettobildung macht. …”
Zu einem im Zusammenhang mit dem Vorgang durch den Geschäftsführer der Arbeitgeberin P. per E-Mail vom 02.09.2005 angeregten Gespräch mit dem Betriebsratsvorsitzenden B. kam es nicht. Als ein gemeinsamer Termin gefunden worden war, hielt sich der Betriebsrat nicht an die Vereinbarung eines Vieraugengesprächs. Herr P. brach das Treffen daher sofort ab, signalisierte aber weiter Gesprächsbereitschaft.
Mit am 14.09.2005 beim Betriebsrat eingegangenem Schreiben beschwerte sich Herr M. beim Betriebsrat über die Äußerungen von Herrn Dr. H. in der Abteilungsversammlung vom 24.08.2005 (Anlage 3 des Schriftsatzes der Arbeitgeberin vom 13.10.2005, Blatt 30 der Vorakte). Das Schreiben lautet in Teilen wie folgt:
„… Nachdem sich Herr H. auch nach der Veranstaltung nicht entschuldigte, probierte es der Betriebsrat noch einmal schriftlich – offensichtlich ohne Erfolg. Denn durch das Antwortschreiben des Herrn H. an den Betriebsrat ...