Rechtsmittel eingelegt: ja
Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratswahlanfechtung. Verstoß gegen wesentliche wahlrechtliche Vorschriften. Betriebszugehörigkeit. aktives Wahlrecht gekündigter Arbeitnehmer
Leitsatz (amtlich)
1. Als betriebszugehörig im Sinne des § 7 BetrVG und aktiv wahlberechtigt zur Betriebsratswahl sind nach Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung nur solche Arbeitnehmer anzusehen, die Kündigungsschutzklage nach den §§ 4 Satz 1 bzw. 13 Absatz 1 Satz 2 KSchG oder ganz allgemeine Klage auf Feststellung gemäß § 256 ZPO erhoben haben und während des Kündigungsrechtsstreites tatsächlich weiterbeschäftigt werden.
2. Die vom Bundesarbeitsgericht zur passiven Wählbarkeit gekündigter Arbeitnehmer angestellten Überlegungen (BAG AP Nr. 6 zu § 8 BetrVG 1972) können nicht auf den Fall der aktiven Wahlberechtigung übertragen werden.
Normenkette
BetrVG §§ 7-8, 19
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Beschluss vom 25.08.1998; Aktenzeichen 4 BV 74/98) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Beteiligten 9 gegen denBeschluß des Arbeitsgerichts Stuttgart vom25.08.1998 – Aktenzeichen 4 BV 74/98 – wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
A.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit der Betriebsratswahl in der Hauptverwaltung der Beteiligten Ziff. 1 und 2, des … bzw. der …, jeweils mit Sitz … und in deren über das gesamte Bundesgebiet verteilten einzelnen Geschäftsstellen vom 26.03.1998.
Das Wahlanfechtungsverfahren betreiben die Geschäftsleitung der Beteiligten Ziff. 1 und 2 sowie sechs Arbeitnehmer, die Beteiligten Ziff. 3 bis 8. Bei dem Beteiligten Ziff. 9 handelt es sich um den in der Hauptverwaltung der Beteiligten Ziff. 1 und 2 gewählten Betriebsrat. Dieser hatte laut Wählerliste (Anlage AS 2, ABl. 13–15 d. Arbeitsgerichtsakte 4 BV 74/98) u. a. Arbeitnehmer an der Betriebsratswahl teilnehmen lassen, denen zum 31.12.1997 betriebsbedingt gekündigt worden war, die jedoch dagegen Kündigungsfeststellungsklage erhoben hatten, ohne allerdings weiterbeschäftigt worden zu sein (vgl. Antage AS 3, ABl. 16 d. arbeitsgerichtlichen Akte 4 BV 74/98)
Außerdem wurde gemeinsam – für alle Geschäftsstellen und die Hauptverwaltung – ein einheitlicher Betriebsrat gewählt, obwohl das Arbeitsgericht Stuttgart durch rechtskräftigen Beschluss vom 23.04.1988 – Az. 6 BV 7/87 – festgestellt hatte, dass die betriebsratsfähigen … als selbstständige Betriebe im Sinne des § 4 Satz 1 BetrVG anzusehen seien und nicht dem Hauptbetrieb … zugeordnet werden dürften (vgl. AS 4, ABl. 17–25 d. arbeitsgerichtlichen Akte 4 BV 74/98). Die Wahl fand als gemeinsame Wahl und Listenwahl statt. Laut Wahlniederschrift (Anlage AS 1, ABl. 9/10 d. arbeitsgerichtlichen Akte 4 BV 74/98) wurden 200 Stimmzettel abgegeben, von denen 4 ungültig waren. Auf die Liste 1 („…”) entfielen 67. auf die Liste 2 („…”) 86 und auf die Liste 3 („…”) 43 Stimmen. Nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren gewann die Liste 1 zwei, die Liste 2 vier Sitze und die Liste 3 einen Sitz im Betriebsrat. Die ersten 3 Ersatzmitglieder waren von der Liste 1, 2 und 3 zu stellen. Parallel zu der angefochtenen Betriebsratswahl wurden Wahlen in … vorbereitet, in … am 07.04.1998 auch ein Betriebsrat gewählt.
Der Einspruch der Geschäftsleitung der Beteiligten Ziff. 1 und 2 gegen die Wählerliste zur Wahl vom 26.03.1998 hatte ebenso wenig Erfolg wie ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Sie reichten deshalb am 08.04.1998 unter dem Aktenzeichen 4 BV 74/98 einen Antrag auf Anfechtung der Betriebsratswahl ein, wobei sie hauptsächlich den Verstoß gegen § 7 BetrVG und gegen § 4 BetrVG rügten. Unter umfangreichem Tatsachenvortrag argumentierten sie u. a., dass trotz einer grundlegenden Strukturreform, der zahlreiche Geschäftsstellen zum Opfer gefallen seien, die neu eingerichteten Geschäftsstellen/Vertriebszentren jeweils betriebsratsfähige selbstständige Einheiten bildeten, so dass dort eigene Betriebsräte zu wählen seien.
Am 08.04.1998 leiteten die Beteiligten Ziff. 3 bis 8 unter dem Aktenzeichen 6 BV 78/98 ebenfalls ein Wahlanfechtungsverfahren ein, wobei sie prinzipaliter die Nichtigkeit, hilfsweise die Anfechtbarkeit (Ungültigkeit) der Betriebsratswahl vom 26.03.1998 geltend machten. Sie verwiesen insbesondere auf die Entscheidung der 6. Kammer des Arbeitsgerichts Stuttgart aus dem Jahre 1988 und monierten außerdem, dass der Betriebsrat eigenmächtig eine bereits vorliegende … aufgespalten habe, zumindest ohne den Beteiligten Ziff. 4 zu befragen, der dort kandidiert habe.
Mit Beschluss der 4. Kammer des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 31.07.1998 wurden die beiden Wahlanfechtungsverfahren miteinander verbunden. Seitdem ist das zuerst eingeleitete Verfahren mit dem Aktenzeichen 4 BV 74/98 führend.
Der Antragsgegner, der Beteiligte Ziff. 9, hat erstinstanzlich vor allem geltend gemacht, die von den Antragstellern aufgeführten Geschäftsstellen/Vertriebszentren könnten keine Betriebsteile im Sinne des § 4 Satz 1 BetrVG sein, weil sie in Abwicklung begriffen und ...