Rechtsmittel eingelegt: nein
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abbruch einer Betriebsratswahl durch einstweilige Verfügung
Leitsatz (amtlich)
Der Abbruch einer laufenden Betriebsratswahl durch eine einstweilige Verfügung kommt nicht bereits in den Fällen der ersichtlich drohenden Anfechtbarkeit, sondern vielmehr nur dann in Betracht, wenn bereits zuverlässig feststellbar ist, daß die Wahl nichtig sein wird.
Normenkette
BetrVG § 19
Verfahrensgang
ArbG Reutlingen (Beschluss vom 22.04.1998; Aktenzeichen 1 BVGa 4/98) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 22.04.98 – 1 BV Ga 4/98 – wird zurückgewiesen.
Gründe
Von der Darstellung des Sachverhalts wird in entsprechender Anwendung des § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Die Beschwerde ist statthaft. Nachdem das Arbeitsgericht den Antrag ohne mündliche Verhandlung abgewiesen hat, handelt es sich um eine einfache Beschwerde im Sinne der §§ 78 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 567 Abs. 1 ZPO und nicht etwa um eine Beschwerde im Sinne von § 87 Abs. 1 ArbGG (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Auflage, § 85 Rz. 47; Walker. Der einstweilige Rechtsschutz im Zivilprozeß und im arbeitsgerichtlichen Verfahren Rz. 901). Die Beschwerde ist formgerecht eingelegt (§ 567 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und auch im übrigen zulässig.
In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung – wenn auch nach § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG in unrichtiger Besetzung – zu Recht abgewiesen. Hieran vermag auch das Beschwerdevorbringen nichts zu ändern. Die Voraussetzungen für einen im Wege der einstweiligen Verfügung anzuordnenden Abbruch der laufenden Betriebsratswahl sind nicht gegeben.
Allerdings ist auch im Beschlußverfahren der Erlaß einer einstweiligen Verfügung vorgesehen (§ 85 Abs. 2 Satz 1 ArbGG). Die Kammer folgt ferner der allgemeinen Ansicht, wonach im Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes der Eingriff in ein laufendes Wahlverfahren nicht ausgeschlossen ist (vgl. etwa Fitting/Kaiser/Heither/Engels. BetrVG, 18. Auflage. § 18 Rz. 20 mit zahlreichen Nachweisen), wenngleich dies im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bundes-, Landes- und Kommunalwahlrecht keineswegs selbstverständlich erscheint, gilt doch danach „in Wahlrechtsangelegenheiten der Satz, daß Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können” (BVerfGE 11, 329 f; BVerfGE 14, 154f; BVerfGE 16, 128 ff).
Die Kammer geht ferner davon aus, daß der Abbruch oder die Untersagung der weiteren Durchführung einer laufenden Betriebsratswahl nicht bereits in den Fällen der ersichtlich drohenden Anfechtbarkeit, sondern vielmehr nur dann in Betracht kommt, wenn für das Gericht bereits zuverlässig feststellbar ist, daß die vorgesehene Wahl nichtig sein wird (ebenso LAG München, Beschluß vom 03. August 1988 – 6 TaBV 41/88 – in LAGE § 19 BetrVG 72 Nr. 7 m.w.N.; LAG Köln, Beschluß vom 27. Dezember 1989 – 10 TaBV 70/89 – in LAGE § 19 BetrVG 72 Nr. 10 m.w.N.; a.A. LAG Baden-Württemberg Beschluß vom 16. September 1996 – 15 TaBV 10/96 – in LAGE § 19 BetrVG 1972 Nr. 15 m.w.N.; Walker, a.a.O., Rz. 798).
Maßgeblich hierfür ist vor allem die Erwägung, daß der Antragsteller andernfalls im Wege der einstweiligen Verfügung mehr erreichen könnte als mit der gesetzlich vorgesehenen Wahlanfechtung. Eine erfolgreiche Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG hat nämlich keine rückwirkende Kraft, sondern wirkt nur für die Zukunft (BAG Beschluß vom 13. März 1991 – 7 ABR 5/90 – in AP Nr. 20 zu § 19 BetrVG 1972 m.w.N.). Anders als bei einer nichtigen Wahl, bei welcher die hervorgegangene Arbeitnehmervertretung keinerlei betriebsverfassungsrechtliche Befugnisse erwirbt, bleibt im Falle der Anfechtbarkeit der Wahl die gewählte Vertretung bis zur Rechtskraft einer die Wahl für ungültig erklärenden gerichtlichen Entscheidung mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt (BAG vom 13. März 1991, a.a.O.). Würde man daher bereits im Falle der voraussichtlichen Anfechtbarkeit der bevorstehenden Wahl im Wege der einstweiligen Verfügung einen Abbruch zulassen, so würde das vom Betriebsverfassungsgesetz ersichtlich vorgesehene – vorläufige – Zustandekommen eines Betriebsrates von vorneherein verhindert und im Wege der einstweiligen Verfügung ein Zustand der Betriebsratslosigkeit aufrecht erhalten, der nach dem Betriebsverfassungsgesetz nur im Falle einer nichtigen Wahl einträte. Der Antragsteller würde damit im Wege der einstweiligen Verfügung mehr erhalten, als er mit der gesetzlich vorgesehenen Wahlanfechtung erreichen könnte. Dies erscheint mit dem Charakter einer einstweiligen Verfügung nicht vereinbar (ebenso LAG Köln, a.a.O.).
Hinzu kommt ferner, daß mit dem Abbruch einer gegebenenfalls anfechtbaren Betriebsratswahl die mit der 2-Wochen-Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG verbundene Möglichkeit der...