Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriff des Betriebsübergangs bei Neuvergabe eines Auftrags zur Erbringung von umfassenden Sicherheitsdienstleistungen. Auftragsneuvergabe. Betriebsübergang. Sicherheitsdienstleistungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang nach § 613a Abs. 1 BGB setzt die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus. Eine solche besteht aus einer organisatorischen Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden.

2. In Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ist in diesem Fall anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte.

3. In betriebsmittelgeprägten Betrieben kann ein Betriebsübergang auch ohne Übernahme von Personal vorliegen.

 

Normenkette

BGB § 613a

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Aktenzeichen 30 Ca 9802/10)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers und der Streithelferin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 20.07.2011 - 30 Ca 9802/10 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    • 1.

      Es wird festgestellt, dass das zwischen der Streithelferin und dem Kläger bestandene Arbeitsverhältnis mit Wirkung vom 01.01.2011 mit der Beklagten fortbesteht.

    • 2.

      Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss zu den bis zum 31. Dezember 2010 bei der Streithelferin geltenden Arbeitsbedingungen als Mitarbeiter im Security Operating Center (SOC) in der Betriebs- und Objektschutzabteilung bei der Firma A.-L. D. AG am Standort L. 10, xxxx S. weiter zu beschäftigen.

    • 3.

      Die Klage wird hinsichtlich des Berufungsantrags des Klägers Ziff. 1. b) abgewiesen.

  • II.

    Die weitergehende Berufung wird hinsichtlich des Berufungsantrags des Klägers Ziff. 1. b) zurückgewiesen.

  • III.

    Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

  • IV.

    Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob das zwischen dem Kläger und der Streithelferin bestandene Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 1. Januar 2011 mit der Beklagten fortbesteht.

Der am 16. März 1955 geborene, verheiratete Kläger war seit 5. November 1984 bei der Firma S. AG beschäftigt, zunächst als Kontrolleur in der Endkontrolle und ab dem 1. März 1993 als Mitarbeiter im Werkssicherheitsdienst. Nach Angaben des Klägers belief sich das monatliche Bruttoarbeitsentgelt zuletzt auf 4.151,15 EUR.

Die Firma S. AG firmierte später als Firma A. S. AG und firmiert inzwischen als Firma A.-L. D. AG (im Folgenden: A.). Das Unternehmen ist weltweit auf dem Gebiet der Kommunikations- und Informationstechnik tätig. Am Standort S. ist das Unternehmen in S.-Z., L. . 10 ansässig. Im Zusammenhang mit Restrukturierungsmaßnahmen und einem damit verbundenen erheblichen Personalabbau in den Jahren 2004/2005 verringerte A. auch den Umfang der von ihr auf dem Betriebsgelände genutzten Räumlichkeiten um ca. 2/3.

Mit Wirkung vom 1. Juli 2005 gliederte die Firma A. S. AG den Betriebsschutz, die Betriebsfeuerwehr und die Sicherheitssysteme für Betriebsschutz und Betriebsfeuerwehr auf die Streithelferin aus. Die Streithelferin ist ein Unternehmen des Bewachungs- und Sicherheitsgewerbes. Im Anschluss an ein Anschreiben der Firma A. S. AG vom 25. Februar 2004 (Anlage S1) und ein Angebot der Streithelferin vom 30. März 2004 (Anlage S 2) schlossen die Firma A. S. AG und die Streithelferin am 22. Dezember 2004 einen Dienstleistungsvertrag mit diversen Anlagen, insbesondere Arbeitsanweisungen (Anlage S 3), eine Vereinbarung über die Einräumung von Rechnernutzung (Anlage S 4) und einen Kaufvertrag (Anlage S 5). Die Firma A. S. AG beauftragte die Streithelferin mit der Durchführung bzw. Wahrnehmung des Betriebsschutzes, der Betriebsfeuerwehr und der Sicherheitssysteme für Betriebsschutz und Betriebsfeuerwehr. Die Funktion "Betriebsschutz" umfasste zum damaligen Zeitpunkt 34 Arbeitnehmer, insbesondere in den Bereichen Notrufzentrale, Pforten- und Streifendienst, Besucherempfang, Schließwesen, Parkplatzverwaltung, zentrales Ausweiswesen. Die Funktion "Betriebsfeuerwehr" umfasste vier Arbeitnehmer, untergliedert in den vorbeugenden und abwehrenden Brand- und Gefahrenschutz. Die dritte Funktion "Sicherheitssysteme für Betriebsschutz und Betriebsfeuerwehr" diente der Einrichtung, Wartung und Instandhaltung der Sicherheitssysteme. Von den 38 Arbeitnehmern gingen am 1. Juli 2005 auf die Streithelferin letztlich 31 Arbeitnehmer üb...

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