Entscheidungsstichwort (Thema)
Tariflicher Abfindungsanspruch. Arbeitsvertragliche Vereinbarung. Bezugnahmeklauseln. Mehrere in Bezug genommene Tarifverträge
Leitsatz (redaktionell)
Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien die Anwendung eines oder mehrerer Tarifverträge, so führt dies auch bei bestehender Tarifbindung des Arbeitgebers nicht zur Geltung sämtlicher einschlägiger Tarifverträge.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 611 Abs. 1; TVG § 1
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 30.10.2002; Aktenzeichen 18 Ca 5865/02) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom30.10.02, Az.: 18 Ca 5865/02 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird für die Klägerin zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten eine Abfindung nach dem RSA für Arbeitnehmer der Wohnungswirtschaft e.V. (im folgenden: RSA).
Für den Parteivortrag erster Instanz wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, das RSA gelte für das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht. Dieser Tarifvertrag sei nicht allgemein verbindlich. Seine Geltung zum Zeitpunkt der Einstellung der Klägerin sei von der Klägerin nicht bewiesen. Im Übrigen sehe der Arbeitsvertrag keinen Verweis auf das RSA vor; lediglich der Manteltarifvertrag und der Tarifvertrag über die Gewährung von vermögenswirksamen Leistungen zu Gunsten der Angestellten der Wohnungswirtschaft, inzident auch der Vergütungstarifvertrag, seien zitiert. Gegen die Geltung des Rationalisierungsschutzabkommens kraft betrieblicher Übung spreche die arbeitsvertragliche Schriftformklausel. Auch sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte in der Vergangenheit bereits gekündigte Tarifverträge angewandt habe. Schließlich könne die Klägerin ihren Anspruch auch nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz stützen. Die näheren Hintergründe der Zahlung einer Abfindung an ihren Kollegen … seien nicht bekannt. Soweit diesem aber rechtsirrtümlich eine Abfindung entsprechend dem RSA gezahlt worden sei, könne die Klägerin insoweit nicht Gleichbehandlung verlangen. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin – anders als Herr … – nahtlos einen Arbeitsvertrag mit dem früheren Geschäftsführer der Beklagten abgeschlossen habe.
Das arbeitsgerichtliche Urteil ist der Klägerin am 26.11.02 zugestellt worden. Mit ihrer am 16.12.02 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und innerhalb der bis 26.02.03 verlängerten Berufungsfrist am 26.02.03 begründeten Berufung rügt die Klägerin, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass sie die Beweislast für die Geltung des RSA habe. Vielmehr habe das Arbeitsgericht von sich aus die Geltung feststellen müssen. Nach einer Auskunft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit sei das RSA nicht gekündigt. Da die Beklagte Mitglied im Arbeitgeberverband der Wohnungswirtschaft e.V. sei und das gesamte Tarifwerk auf alle, auch nicht tarifgebundene Arbeitnehmer anwende, gelte auch das RSA. Da der Arbeitsvertrag quasi alles entsprechend den Tarifverträgen regele, komme auch das RSA zur Anwendung. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei das gesamte Tarifvertragswerk anzuwenden, wenn nicht tarifgebundene Arbeitnehmer (bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers) den wesentlichen tarifvertraglichen Bestimmungen unterlägen. Einer ausdrücklichen Verweisung im Arbeitsvertrag gerade auch auf das RSA bedürfe es demgemäß nicht.
Die Klägerin behauptet, bei ihrer Einstellung habe sie die gesamte Tarifsammlung (einschließlich des RSA) übergeben erhalten. Der damalige Geschäftsführer habe ihr erklärt, die Tarifverträge gelten insgesamt. Er habe das Rationalisierungsschutzabkommen nicht gekannt, habe aber dennoch angenommen, alle Tarifverträge sollten Anwendung finden. Auch ihr Kollege … habe seine Abfindung zu Recht erhalten. Da keine weiteren Entlassungen erfolgt seien, genüge für die Anspruchsbegründung nach Gleichbehandlungsgrundsätzen, dass sich die Klägerin auf diesen einen Kollegen berufen könne.
Die Klägerin behauptet, der frühere Geschäftsführer der Beklagten habe die Abfindung zahlen wollen; hierauf habe die Klägerin vertraut.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 30.10.02 mit dem Aktenzeichen 18 Ca 5865/02 abzuändern und entsprechend den Schlussanträgen in erster Instanz die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 4.038,40 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.01.2002 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie behauptet, das RSA sei am 31.12.1990 gekündigt worden und gelte demgemäß für das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht. Kraft vertraglicher Inbezugnahme gelten nur die ausdrücklich benannten Tarifverträge; hätte die Beklagte tatsächlich das gesamte Tarifwerk zur Geltung bringen wollen, wäre dies so formuliert worden. Die Beklagte beruft sich in zweiter Instanz auf die ...