Entscheidungsstichwort (Thema)
Kollektive Entlohnungsgrundsätze. Änderung und Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei fehlender Tarifbindung
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und bei der Einführung und Anwendung neuer Entlohnungsmethoden. Zweck des Mitbestimmungsrechts ist, das betriebliche Lohngefüge angemessen und durchsichtig zu gestalten und die betriebliche Lohn- und Verteilungsgerechtigkeit zu wahren. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist nicht die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts. Mitbestimmungspflichtig sind die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen.
2. Mitbestimmungspflichtig ist auch die Änderung bestehender Entlohnungsgrundsätze durch den Arbeitgeber. Dabei kommt es für das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nicht darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage die Anwendung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze erfolgte, ob etwa auf Basis bindender Tarifverträge, einer Betriebsvereinbarung, einzelvertraglicher Absprachen oder einer vom Arbeitgeber einseitig praktizierten Vergütungsordnung. In allen Fällen unterliegt ihre Änderung der Mitbestimmung.
3. Ein Eingriff in die Vergütungsstruktur – und nicht nur eine mitbestimmungsfreie Änderung der absoluten Lohnhöhe – liegt auch beim Wegfall oder der anteiligen Kürzung zusätzlicher Jahreszuwendungen vor, also Leistungen, die zu bestimmten Terminen als zusätzliche Einmalzahlungen bzw. Zuwendungen zu den laufenden Monatsvergütungen erbracht werden. Die vollständige Streichung derartiger Leistungen, aber auch deren Herabsetzung bei Weitergewährung eines Teilbetrags, bedeuten die Änderung bestehender Entlohnungsgrundsätze nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG insofern, als sich künftig die einzelnen Elemente der gesamten (Jahres-)Vergütung anders zusammensetzen sollen.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10, § 77 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Karlsruhe (Aktenzeichen 2 Ca 470/06) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung/Klageerweiterung der Klägerin wird die Beklagte über die erstinstanzliche Verurteilung hinaus zur Zahlung von Euro 566,61 brutto nebst Zinsen i. H. von 5 Prozentpunkten über EZB Basiszinssatz seit 01.12.2007 verurteilt.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
III. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
IV. Von den Kosten der Berufung trägt die Klägerin 3/10, die Beklagte insoweit 7/10; es verbleibt bei der Kostenregelung für die 1. Instanz.
V. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung jährlicher Sonderzuwendungen für die Jahre 2005, 2006 und 2007.
Die Beklagte betreibt Fachkliniken für Anschlussheilbehandlungen und Rehabilitation. Sie war und ist nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes.
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 01.10.1977 beschäftigt. Die Klägerin arbeitet in Teilzeit.
Zwischen der Beklagten und dem für die Kliniken für Rehabilitation W. und D. eingerichteten Betriebsrat wurde unter dem 28.04.1989 eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen (vgl. Betriebsvereinbarung vom 28.04.1989 nebst Anlagen, ABl. 132 ff).
In einer Präambel der Betriebsvereinbarung heisst es u. a.:
„…
Diese Betriebsvereinbarung wird in Anlehnung an den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT), Vereinigungen der kommunalen Arbeitgeberverbände (VkA) und dem Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter BMT-G (VkA) geschlossen und findet Anwendung in der jeweils gültigen Fassung.
Am Schluss – im Anschluss an „§ 26 Laufzeit” – der Betriebsvereinbarung heisst es: „Anlagen 1 bis 7, Seite 8”.
Die auf Seite 8 u. a. aufgeführte Anlage 6 betrifft die „Vereinbarung über die Gewährung einer Monatszuwendung”. Insoweit ist im Einzelnen geregelt:
- „Der Arbeitnehmer erhält in jedem Kalenderjahr eine Zuwendung, wenn er am 1. Dezember im Arbeitsverhältnis steht und nicht für den ganzen Monat Dezember ohne Vergütung zur Ausübung einer entgeltlichen Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit beurlaubt ist und seit dem 1. Oktober des Kalenderjahres beschäftigt ist.
- Der Arbeitnehmer hat die Monatsvergütung zurückzuerstatten, wenn er bis einschließlich 31. März des folgenden Kalenderjahres aus seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch ausscheidet.
- Der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis spätestens mit Ablauf des 31. Dezember des Kalenderjahres endet und der mindestens vom Beginn des Kalenderjahres an ununterbrochen in der Klinik beschäftigt war, erhält ebenso die Monatszuwendung, wenn er wegen Erreichen der Altersgrenze oder wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit (siehe § 14 Betriebsvereinbarung) ausgeschieden ist.
- Für die Berechnung der Zuwendung gilt die Monatsvergütung des Monats September des Kalenderjahres.
- Für den Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis später als am 1. September begonnen hat, tritt an die Stelle des Monats Se...