Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellungsklage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bei Produktionsübernahme im Rahmen eines "echten Betriebsführungsvertrages"
Leitsatz (amtlich)
Ein sog. "echter Betriebsführungsvertrag", der dadurch geprägt ist, dass der Betriebsführer den Betrieb nur aus abgeleitetem Recht im fremden Namen und für fremde Rechnung führen darf, begründet keinen Betriebsübergang. In diesen Fällen wird der Betriebsführer nicht "verantwortlicher Inhaber" des Betriebs. Für den Betriebsübergang ist nicht entscheidend, ob der Betriebsführer im Verhältnis zu den Arbeitnehmern (in Verkennung der Rechtslage) als deren Arbeitgeber auftritt. Maßgeblich ist die umfassende Nutzung des Betriebes nach außen. (Führendes Verfahren zu 9 weiteren Parallelverfahren 4 Sa 20/15 bis 4 Sa 28/15)
Normenkette
BGB §§ 242, 611 Abs. 1, § 613a Abs. 1 S. 1, Abs. 6 S. 1; AktG § 292 Abs. 1 Nr. 3; HGB § 116 Abs. 2; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 08.05.2015; Aktenzeichen 26 Ca 1842/14) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der Beklagten zu 2 wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Ludwigsburg vom 08.05.2015 (26 Ca 1842/14) teilweise abgeändert.
- Es wird festgestellt, dass zwischen der klagenden Partei und der Beklagten zu 2 über den 31.03.2011 hinaus jedenfalls bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 08.05.2015 ein Arbeitsverhältnis bestand.
- Im Übrigen wird die Klage der klagenden Partei gegen die Beklagte zu 2 abgewiesen.
II.
Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zu 2 zurückgewiesen.
III.
Die Beklagten zu 1 und 2 haben die Gerichtskosten zu je 3/7 zu tragen, die klagende Partei zu 1/7. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers haben die Beklagten zu 1 und 2 je zu 3/7 zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 hat der Kläger zu 1/4 zu tragen. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger und die Beklagte zu 2 streiten vorliegend darüber, ob zwischen ihnen noch ein Arbeitsverhältnis besteht oder ob das ursprünglich zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs zum 1.4.2011 auf die Beklagte zu 1 übergegangen ist. Außerdem begehrt der Kläger von der Beklagten zu 2 die Weiterbeschäftigung.
Wegen des erstinstanzlich unstreitigen und streitigen Parteivorbringens und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2, 3 Satz 2 ArbGG auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Ergänzend hierzu ist noch § 12 der "Vereinbarung über Lohnfertigung und Geschäftsbesorgungsvertrag über Betriebsführung" vom März 2011 zu zitieren. Dieser lautet:
"C. Allgemeine Bestimmungen
§ 12
Auskunftsrecht von W.
W. kann von der Geschäftsführung der I. W. jederzeit und in allen die Lohnfertigung und die Betriebsführung betreffenden Angelegenheiten Auskünfte verlangen. Im Hinblick auf die Betriebsführung gemäß Lit. B, nicht aber für Lit. A dieses Vertrages (mit Ausnahme der Vorgaben für die Herstellung, Bearbeitung und Lieferung der Ware gemäß §§ 1, 2 und 3 Abs. 1), kann W. Richtlinien erlassen und Weisungen erteilen. Insbesondere kann W. bestimmen, welche Arten von Geschäften ihrer vorherigen Zustimmung bedürfen."
Die Beklagte zu 2 kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger Ende Mai 2015 vorsorglich außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich. Gegen diese Kündigung hat der Kläger vor dem Arbeitsgericht Stuttgart - Kammern Ludwigsburg - Kündigungsschutzklage erhoben, verbunden mit einem allgemeinen Feststellungsantrag.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 8.5.2015 festgestellt, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2 über den 31.5.2011 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht. Die Beklagte zu 2 wurde zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt. Die gegen die Kündigung der Beklagten zu 1 vom 28.10.2014 gerichtete Kündigungsschutzklage wurde dagegen abgewiesen. Das Arbeitsgericht führte zur Begründung aus, dass zum 1.4.2011 kein Betriebsübergang von der Beklagten zu 2 auf die Beklagte zu 1 stattgefunden habe, weshalb das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten zu 2 verblieben sei. Zwar nutze die Beklagte zu 1 seit 1.4.2011 das Betriebsgrundstück, die Hallen, Maschinen und Produktionsmethoden, sowie die von der Beklagten zu 2 geschaffene Betriebsorganisation und deren Kundenbeziehungen, somit den von der Beklagten zu 2 geschaffenen betrieblichen Funktionszusammenhang für ihre wirtschaftliche Tätigkeit. Unerheblich sei, dass die Betriebsmittel nicht im Eigentum der Beklagten zu 2 stehen. Auch eine eigenwirtschaftliche Nutzung der Betriebsmittel sei für einem Betriebsübergang nicht erforderlich. Diese Nutzungsmöglichkeiten seien der Beklagten zu 1 rechtsgeschäftlich, nämlich durch die "Vereinbarung über Lohnfertigung und Geschäftsbesorgungsvertrag über Betriebsführung" vom März 2011 eingeräumt worden. Trotz Nutzung des betrieblichen Funktionszusammenhangs sei die Beklagte zu 1 jedoch nicht Inhaberin des Betriebs ge...