Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung des Betriebsrats. Gründe der sozialen Auswahl
Leitsatz (amtlich)
Der Arbeitgeber erfüllt die ihm obliegende Pflicht, unaufgefordert dem Betriebsrat die Gründe mitzuteilen, die ihn zur sozialen Auswahl veranlaßt haben, nicht dadurch, daß er dem Betriebsrat mitteilt, die soziale Auswahl sei unter Berücksichtigung der Kriterien Betriebszugehörigkeit, Alter, Familienstand und Unterhaltsverpflichtungen vorgenommen worden. Vielmehr muß der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Auswahlüberlegungen in Kenntnis setzen; d.h. er muß darlegen, welche Gründe ihn veranlaßt haben, den betreffenden Arbeitnehmer zur Kündigung vorzusehen.
Normenkette
BetrVG 1972 § 102
Verfahrensgang
ArbG Mannheim (Urteil vom 18.12.1987; Aktenzeichen 6 Ca 99/87 H) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim – Kammern Heidelberg – vom 18. Dezember 1987 – Az.: 6 Ca 99/87 – wird auf Kosten der Berufungsführerin zurückgewiesen.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf DM 12.900,– neu festgesetzt.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit der mit Schreiben vom 22. April 1987 und mit Schreiben vom 4. Juni 1987 jeweils zum 30. September 1987 erklärten ordentlichen Kündigungen.
Von der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes und der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 543 Abs. 1 ZPO unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Abl. 68–72) abgesehen.
Das Arbeitsgericht hat durch das am 18. Dezember 1987 verkündete Urteil nach den Anträgen des Klägers erkannt und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigungen der Beklagten vom 22. April 1987 und 4. Juni 1987 nicht zum 30. September 1987 aufgelöst worden ist. Dem des weiteren gestellten Weiterbeschäftigungsantrag hat es ebenfalls stattgegeben. Gegen diese am 10. Februar 1988 zugestellte Entscheidung des Arbeitsgerichts, auf deren nähere Gründe (Abl. 73–76) gleichfalls verwiesen wird, hat die Beklagte mit dem am 8. März 1988 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel mit dem weiteren am 30. März 1988 eingegangenen Schriftsatz im einzelnen ausgeführt.
Sie macht geltend, die Kündigung sei nicht deshalb unwirksam, weil der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß gehört worden sei. Sie habe entsprechend der seitens der Rechtsprechung des BAG aufgestellten Grundsätze dem Betriebsrat mitgeteilt, man habe die Sozialauswahl nach den Kriterien Betriebszugehörigkeit, Alter, Familienstand und Unterhaltsverpflichtungen vorgenommen. Es sei nicht erforderlich, dem Betriebsrat auch mitzuteilen, welchen Stellenwert der Arbeitgeber den einzelnen Kriterien im Einzelfall zugeordnet habe. Anderenfalls würde die Frage, ob die soziale Auswahl richtig getroffen worden sei oder nicht, bereits im Rahmen der Überprüfung, ob das Anhörungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden sei, überprüft werden. Der Betriebsrat sei im Besitz zahlreicher Personallisten gewesen, welche nach Abteilungen aufgegliedert gewesen seien und die gekündigten und die verbleibenden Arbeitnehmer nebst den Sozialdaten enthielten. Für die Frage der ordnungsgemäßen Anhörung komme es nicht darauf an, ob die soziale Auswahl abteilungs- oder betriebsbezogen zu erfolgen habe. Der Betriebsrat sei in der Lage gewesen, der getroffenen sozialen Auswahl abteilungsbezogen zu widersprechen; er habe auch betriebsbezogen seinem Mitwirkungsrecht gerecht werden können. Tatsächlich sei der Betriebsrat auch in der Lage gewesen, den Kläger mit anderen Arbeitnehmern anderer Abteilungen zu vergleichen. So habe der Betriebsrat darauf hingewiesen, in der Abteilung 310 seien vergleichbare Arbeitnehmer beschäftigt, die eine geringere Betriebszugehörigkeit aufwiesen und lebensjünger seien.
Auch sei der für die Kündigung maßgebliche Sachverhalt zutreffend mitgeteilt worden. Der Betriebsrat sei darüber informiert worden, in der Abteilung des Klägers würden in der Zukunft sechs Mitarbeiter weniger benötigt werden. Nicht entscheidend sei, ob der Arbeitsplatz des Klägers konkret in Wegfall gerate; es komme nur darauf an, daß aufgrund des Sanierungskonzepts für die Tätigkeit des Klägers künftig kein Bedürfnis bestehe. Auch bezüglich der zweiten Kündigung komme es nicht darauf an, ob der Arbeitsplatz ganz wegfalle; insoweit sei entscheidend, daß für die Weiterbeschäftigung des Klägers gerade im Rahmen der sozialen Auswahl kein Bedürfnis mehr bestehe.
Die Beklagte beantragt:
- Das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim – Kammern Heidelberg – vom 18.12.1987, Az.: 6 Ca 99/87 H, zugestellt am 10. Februar 1988, wird abgeändert.
- Die Klage wird abgewiesen.
- Der Kläger/Berufungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Kläger, der um die Zurückweisung der Berufung bittet, verteidigt die angegriffene Entscheidung aus den aus seiner Berufungserwiderung (Abl. 102–108) ersichtlichen Erwägungen. Der Klä...