Entscheidungsstichwort (Thema)
Parallelentscheidung zu LAG Baden-Württemberg 2 Sa 16/21 v. 10.08.2022
Leitsatz (amtlich)
1. Der Betriebsbegriff des § 24 Abs. 2 KSchG beruht auf einer gesetzlichen Fiktion und ist vom Betriebsbegriff des BetrVG entkoppelt. Es kommt auf eine tatsächliche betriebliche Einheit in Organisation und Verfolgung eines arbeitstechnischen Zwecks nicht an. Diese Fiktion hilft auch über die sonst geforderte Betriebsbelegenheit im Inland hinweg.
2. Ein Luftverkehrsbetrieb iSd. § 24 Abs. 2 KSchG bedarf daher auch keiner akzessorischen Anbindung an einen im deutschen Inland belegenen Bodenbetrieb. Die Leitungsmacht kann auch vom Ausland ausgeübt werden. In diesem Fall unterfallen aber nur die Mitarbeiter des Luftverkehrsbetriebs dem deutschen Kündigungsschutzrecht, deren Arbeitsverhältnisse auch dem deutschen Recht unterliegen. Anschluss an LAG Berlin-Brandenburg 26. März 2015 - 26 Sa 1513/14 - Abweichung von LAG Baden-Württemberg 17. September 2021 - 7 Sa 32/21
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2-3, § 17 Abs. 1, 3, § 23 Abs. 1, § 24 Abs. 1-2; BGB § 613a Abs. 4 S. 2; DSGVO Art. 12 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1, 3; Rom I-VO Art. 3 Abs. 1, Art. 8 Abs; BGB § 134
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 27.05.2021; Aktenzeichen 22 Ca 5434/20) |
Nachgehend
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 27.05.2021 (22 Ca 5434/20) teilweise abgeändert.
- Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1 bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten zu 1 vom 14.07.2020 aufgelöst wurde.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III.
Von den Gerichtskosten erster Instanz hat der Kläger 70 % und die Beklagte zu 1 30 % zu tragen.
Von den (erstattungsfähigen) außergerichtlichen Kosten erster Instanz des Klägers hat die Beklagte zu 1 30 % zu tragen. Von den (erstattungsfähigen) außergerichtlichen Kosten erster Instanz der Beklagten zu 1 hat der Kläger 70 % zu tragen. Die (erstattungsfähigen) außergerichtlichen Kosten erster Instanz der Beklagten zu 2 hat der Kläger in Gänze zu tragen.
Von den Gerichtskosten der zweiten Instanz hat der Kläger 69 % und die Beklagte zu 1 31 % zu tragen. Von den außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz des Klägers hat die Beklagte zu 1 31 % zu tragen. Von den außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz der Beklagten zu 1 hat der Kläger 69 % zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz der Beklagten zu 2 hat der Kläger in Gänze zu tragen.
IV.
Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Wirksamkeit zweier von der Beklagten zu 1 ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen, über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses des Klägers bei der Beklagten zu 2 wegen eines Betriebsübergangs und hilfsweise über Weiterbeschäftigung. Außerdem begehrt der Kläger Auskunft von der Beklagten zu 1 nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO, Erteilung von Kopien der verarbeiteten personenbezogenen Daten sowie Schadenersatz wegen Verstößen gegen die DSGVO.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den von beiden Parteien nicht beanstandeten ausführlichen Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 27. Mai 2021 Bezug genommen.
Das angefochtene Urteil hat die Klage abgewiesen und ist der Ansicht, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1 bereits durch die erste Kündigung vom 14. Juli 2020 zum 31. Oktober 2020 beendet worden sei. Der Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes sei gem. § 24 Abs. 1, 2 KSchG zwar nur bei inländischen Luftverkehrsbetrieben eröffnet. Ein solcher läge angesichts der von der Beklagten zu 1 maßgeblich von Österreich ausgeübten Leitungsmacht nicht vor. Dennoch seien die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes auf das Arbeitsverhältnis des Klägers über eine Modifikation des kündigungsschutzrechtlichen Betriebsbegriffs in verfassungskonformer Auslegung anwendbar. Die Kündigung sei jedoch sozial gerechtfertigt wegen einer beschlossenen und durchgeführten Stilllegung der Homebase am S. Flughafen. Die Beklagte zu 2 habe zu keinem Zeitpunkt einen Betrieb an der Homebase S. übernommen. Es läge deshalb weder ein Teilbetriebsübergang noch ein Betriebsübergang des Gesamtflugbetriebs auf die Beklagte zu 2 vor. Wegen der Stilllegung sei eine Sozialauswahl entbehrlich gewesen. Die Massenentlassungsanzeige sei ordnungsgemäß erfolgt. Selbst wenn nachfolgend noch ein (Teil-)Betriebsübergang auf die Beklagte zu 2 stattgefunden haben sollte, wäre ein auf die Beklagte zu 2 übergegangenes Arbeitsverhältnis jedenfalls zum 31. Oktober 2020 mit Ablauf der Kündigungsfrist beendet worden. Eine Feststellung, dass mit der Beklagten zu 2 ein Arbeitsverhältnis bestehe, könne deshalb nicht getroffen werden. Der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 Abs. 1 DSGVO sei mit Schreiben der R. vom 25. Januar 2021 erfüllt worden. Der Antrag au...