Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhaltensbedingte Kündigung, Auflösungsantrag. Anhörung des Personalrats. Zustimmung des Integrationsamts
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Auflösungsantrag kann auch auf Gründe gestützt werden, über die der Betriebsrat/Personalrat zuvor nicht unterrichtet worden ist, wenn diese erst nach Ausspruch der Kündigung eingetreten sind.
2. Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers setzt jedenfalls im Fall einer erst nach der Kündigung eingetretenen Schwerbehinderung oder Gleichstellung nicht die Zustimmung des Integrationsamts voraus.
Normenkette
KSchG §§ 9-10, 1 Abs. 2; SGB IX § 85
Verfahrensgang
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart, Kammern Aalen, vom 27.06.2002 – 9 Ca 131/01 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 01.03.2001 nicht zum 30.06.2001 aufgelöst worden ist.
- Das Arbeitsverhältnis wird gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von EUR 8.000,00 zum 30.06.2001 aufgelöst.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen aufgrund der ordentlichen Kündigung der Beklagten zum 01.03.2001 mit Ablauf des 30.06.2001 geendet hat. Hilfsweise begehrt die Beklagte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.
Der am 16.01.1969 geborene, verheiratete und im Zeitpunkt der Kündigung vier Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger war seit 01.10.1999 bei der Beklagten als Arbeiter im xxx-xxxxxxx beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag vom 13.08.1999 findet auf das Arbeitsverhältnis der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) Anwendung. Der Kläger war in die Lohngruppe 4 eingruppiert. Das Bruttomonatsgehalt des Klägers belief sich auf zwischen 2 000,00 EUR und 2 200,00 EUR. Unter Einbeziehung von Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Winterzulagen ergab sich ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt von 2 373,24 EUR. Bei der Beklagten sind regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt. Ein Personalrat ist gebildet.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien war bereits nach kurzer Zeit durch verschiedene, im einzelnen sehr streitige Vorfälle belastet. Der Kläger war zunächst im xxxxxxxxxxxxxx in der Bauabteilung eingesetzt. Dort soll es alsbald zu Reibereien zwischen den Arbeitskollegen gekommen sein. Nach dem – bestrittenen – Vorbringen der Beklagten waren die Kollegen mit der Arbeitsleistung des Klägers nicht zufrieden. Der Kläger soll im Januar 2000 sodann Arbeitskollegen beschuldigt haben, diese hätten ihm Schläge angedroht.
Ab Februar 2000 wurde der Kläger in der Abteilung xxxxxxxxxxxxxxx eingesetzt. Auch in dieser Abteilung soll der Kläger nach dem – bestrittenen – Vorbringen der Beklagten seine Arbeitsleistung mangelhaft erbracht haben. Außerdem soll der Kläger mit der ihm anvertrauten Kehrmaschine nicht pfleglich umgegangen sein. Am 04.08.2000 wurde der Kläger mit anderen Arbeitskollegen gegen 11.45 Uhr bei einer Feier angetroffen, anlässlich derer Bier getrunken wurde. Am 07.08.2000 wies der Leiter des xxxxxxxxxxxx, Herr xxxxxxx, im Beisein unter anderem des stellvertretenden Personalratsvorsitzenden, Herrn xxx, die beteiligten Arbeitnehmer auf ihre Pflichten hin. Mit dem Kläger, der am 07.08.2000 Urlaub gehabt hatte, wurde am 09.08.2000 ein inhaltsgleiches Gespräch geführt.
Seit Ende Oktober 2000 wurde der Kläger nicht mehr als Kehrmaschinenfahrer eingesetzt, sondern einer anderen Gruppe in der Abteilung xxxxxxxxx zugewiesen. Auch in dieser Gruppe soll der Kläger versucht haben, durch ständiges Hinterfragen von Weisungen die Autorität seines Vorgesetzten zu untergraben. Am 29.11.2000 soll der Kläger nach dem – bestrittenen – Vorbringen der Beklagten erneut beim Biertrinken während der Arbeitszeit ertappt worden sein. Am 30.11.2000 soll der Kläger sein Funkgerät ausgeschaltet haben.
Am 08.12.2000 fand abends die Weihnachtsfeier der Abteilung xxxxxxxxxxx im Schützenhaus xxxxxxx statt. Zwischen dem bereits bei seinem Eintreffen alkoholisierten Kläger und verschiedenen Arbeitskollegen kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung, deren Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind. Der Kläger soll Herrn xxxxxxxxxxxxx mit den Worten „Pfeife” und „Arschloch” beschimpft haben.
Unter dem Datum des 07.12.2000 verfasste der Kläger ein Schreiben an den Personalratsvorsitzenden, Herrn xxxxxxxx, in dem er sich über Herrn xxxxxxxxxxxx beschwerte. Wegen der Einzelheiten wird auf Aktenblatt 38 f. der erstinstanzlichen Akte verwiesen. Am Ende des Schreibens verlangte der Kläger namens der Arbeiter des „Streckenautos xx” eine schriftliche Entschuldigung von Herrn xxxxxxxxx bis spätestens 13.12.20...