Entscheidungsstichwort (Thema)
Einzelvertragliche Vergütungsvereinbarung. Vergütungssystem
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Umsetzung eines ohne Beteiligung des Betriebsrats eingeführten neuen Vergütungssystems durch einzelvertragliche Entgeltregelungen bedeutet deren Unwirksamkeit.
2. Die unwirksamen Entgeltvereinbarungen sind in Anwendung von § 612 Abs. 2 BGB und einer weiter anzuwendenden, weil nicht wirksam abgelösten, betrieblichen Übung durch die Bestimmungen des vor Einführung der neuen Vergütungsregelungen angewandten Entgeltsystems zu ersetzen.
3. Sieht das bisherige Entgeltsystem eine regelmäßige Anhebung der Bezüge nach Lebensaltersstufen und im Wege des Bewährungsaufstiegs vor, so macht gerade dies die Besonderheit des weiterhin anzuwendenden Entgeltsystems aus und bleibt Teil der den Arbeitnehmern trotz anderslautender einzelvertraglicher Regelungen fortzuzahlender Vergütung.
Normenkette
BGB § 612 Abs. 2; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
Verfahrensgang
ArbG Freiburg i. Br. (Urteil vom 10.07.2002; Aktenzeichen 4 Ca 702/01) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 10.07.2002, Az.: 4 Ca 702/01, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche des Klägers.
Der Beklagte ist ein freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit mit Sitz in Frankfurt. Er unterhält bundesweit über 600 Einrichtungen an 300 verschiedenen Orten und beschäftigt dabei etwa 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Beim Beklagten sind betriebsratsfähige Einrichtungen für einzelne Regionalbereiche geschaffen worden. So ist der Betriebsrat des Bildungszentrums Stuttgart zuständig für verschiedene Außenstellen in Baden-Württemberg, darunter auch die Außenstellen in Freiburg.
Der am 24.04.1962 geborene Kläger, ausgebildeter Diplom-Betriebswirt und seit 1997 Mitglied der ÖTV, wurde vom Beklagten erstmals zum 21.04.1997 als Ausbilder Büro/Verkauf für die Außenstelle in Freiburg eingestellt. Durch Vertrag vom 08.07.1997 (Bl. I/38 d. Akte), Ergänzungsvertrag vom 26.08.1997 (Bl. I/39 d. Akte) und Ergänzungsvertrag vom 16.12.1997 (Bl. I/40 d. Akte) war das Beschäftigungsverhältnis zunächst für die Zeit vom 21.04.1997 bis 31.10.1998 befristet.
Der Beklagte hat mit der Gewerkschaft ÖTV Haustarifverträge abgeschlossen. Zum Zeitpunkt der Einstellung des Klägers galt der Manteltarifvertrag Nr. 2 vom 27.02.1984 in seiner aktualisierten Fassung. Dort war in § 21 geregelt, dass die Grundvergütungen nach Lebensaltersstufen bemessen wird und der Arbeitnehmer jeweils mit Beginn des Monats, in dem er ein Lebensjahr mit ungerader Zahl vollendet, bis zum Erreichen der Endgrundvergütung die Grundvergütung der folgenden Lebensaltersstufe erhält. Zum gleichen Zeitpunkt war auch der Tarifvertrag Nr. 3 über die Tätigkeitsmerkmale zum Manteltarifvertrag vom 01.07.1991 (TVTM) in Kraft, der Regelungen zum Bewährungsaufstieg enthielt. Ferner galt der Vergütungstarifvertrag vom 14.12.1996 (VTV), der die Vergütungshöhe unter Berücksichtigung der Vergütungsgruppen und der Lebensaltersstufen festlegte.
Im September 1997 kündigte der Beklagte den MTV Nr. 2 sowie den TVTM mit Wirkung zum 31.12.1997. Der VTV wurde seinerseits von der Gewerkschaft ÖTV im November 1997 ebenfalls zum 31.12.1997 gekündigt. In der Folgezeit hat der Beklagte bei Neueinstellungen ab 01.01.1998 seine Arbeitsvertragsmuster geändert. Die bisher geltenden Tarifverträge wurden im Prinzip weiter angewandt, allerdings mit Ausnahme des Systems der Lebensaltersstufen und des Bewährungsaufstiegs. Die Betriebsräte des Beklagten wurden bei der Änderung des Vergütungssystems nicht beteiligt.
In den Jahren 1998 bis 2000 haben der Beklagte und die Gewerkschaft ÖTV jährlich zwei neue Tariflohnerhöhungen für alle Beschäftigten vereinbart. Für alle Mitarbeiter, die vor dem 01.01.1998 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis standen, wurde das bisherige Tarifsystem mit Lebensaltersstufen und Bewährungsaufstieg weiter angewandt, die ab 01.01.1998 neu eingestellten Arbeitnehmer wurden weiterhin von Bewährungsaufstieg und Anhebung der Vergütung infolge Aufrückens in eine höhere Lebensaltersstufe ausgenommen.
Im Mai 2001 schlossen die ÖTV und der Beklagte einen Tarifvertrag über Tätigkeitsmerkmale und einen Entgelttarifvertrag mit Rückwirkung zum 01.02.2001, der das frühere Tarifsystem ablöste und auf Lebensaltersstufen und Bewährungsaufstieg verzichtete. Geregelt wurde dabei, dass alle Mitarbeiter, die vor dem 01.01.1998 unter den Geltungsbereich des früheren MTV Nr. 2 fielen, eine persönliche Zulage erhalten, die sich am Unterschiedsbetrag zwischen der im Januar 2001 zustehenden Vergütung und der niedrigeren Vergütung nach der neuen Tarifregelung orientiert. Die persönliche Zulage nimmt an zukünftigen linearen Gehaltserhöhungen teil, lässt aber bei linearen Tariferhöhungen die Anrechnung zu einem Drittel zu.
Während des befristeten Arbeits...