Entscheidungsstichwort (Thema)

Anhörung des Betriebsrates vor Kündigung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Betriebspartner können im Wege einer Betriebsvereinbarung das Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 Satz 1 und 2 BetrVG modifizieren und verbindlich regeln, daß unter bestimmten Voraussetzungen – z. B. im Falle des Widerspruchs des Betriebsrates – ein Gespräch zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat stattzufinden hat.

Unterläßt es der Arbeitgeber in einem solchen Fall, dem Betriebsrat ein Gespräch anzubieten, so ist das Anhörungsverfahren nicht abgeschlossen; eine gleichwohl ausgesprochene Kündigung ist nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

 

Normenkette

BetrVG § 102 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Urteil vom 12.04.1995; Aktenzeichen 3 Ca 5585/94)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 06.02.1997; Aktenzeichen 2 AZR 168/96)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 12.04.1995 – 3 Ca 5585/94 – abgeändert:

Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 25.05.1994 nicht aufgelöst wurde.

Von den bis zur teilweisen Rücknahme der Berufung entstandenen Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte 3/4, der Kläger 1/4 zu tragen; die danach entstandenen Kosten hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die mit Schreiben der Beklagten vom 25.05.94 ausgesprochene fristgerechte Kündigung ihr Arbeitsverhältnis zum 31.12.94 wirksam aufgelöst hat.

Wegen des Sach- und Streitstandes im 1. Rechtszug wird auf den sorgfältig dargestellten Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 117-131 d.A.) Bezug genommen (§ 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

Das Arbeitsgericht ist zu der Auffassung gelangt, daß die Kündigung wirksam sei, und hat die Klage mit am 12.04.95 verkündetem Urteil als unbegründet abgewiesen. Wegen der eingehenden Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die S. 16-32 des angefochtenen Urteils (Bl. 131-147 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses dem Klägervertreter am 31.05.94 zugegangene Urteil richtet sich die am 30.06.95 eingelegte, am 31.08.95 und damit innerhalb der durch Beschluß vom 31.07.95 verlängerten Berufungsbegründungsfrist ausgeführte Berufung des Klägers. Hinsichtlich des zunächst auch im 2. Rechtszug verfolgten Weiterbeschäftigungsantrags hat der Kläger in der Berufungsverhandlung die Berufung zurückgenommen.

Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger insbesondere vor, das Arbeitsgericht hätte die Frage, ob ein Betriebsteilübergang stattgefunden habe, was nach den Informationen des Klägers nicht der Fall gewesen sei, nicht dahinstehen lassen dürfen, es sei über den Vortrag des Klägers, wonach der Personalvorstand der Beklagten, Herr … die verpflichtende Erklärung abgegeben habe, den Personalabbau ohne Entlassung von Mitarbeitern durchzuführen, schlicht hinweggegangen, es habe die Verpflichtung der Beklagten bestanden, den gesamten Betrieb der … in die Suche nach freien Stellen einzubeziehen, das Arbeitsgericht habe dem Kläger unter Umkehr der Darlegungs- und Beweislast die Suche nach möglichen freien Stellen auf gelastet, es habe verkannt, daß der Arbeitsvertrag einen Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung am Boden beinhalte, die Anhörung des Betriebsrats sei nicht ordnungsgemäß, weil dem Betriebsrat wesentliche Fakten, wie das der vertraglichen Weiterbeschäftigungsverpflichtung, nicht mitgeteilt worden seien. Der Kläger hat in der Berufungsverhandlung klargestellt, daß er entgegen dem Vorbringen in der Klagschrift nicht verheiratet sei und keine Kinder habe und die Unterrichtung des Betriebsrats insoweit zutreffend gewesen sei. Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers im 2. Rechtszug wird auf den in mündlicher Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 29.08.95 (Bl. 211-219 d.A.) und das Verhandlungsprotokoll vom 30.01.96 verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 12.04.1995 – 3 Ca 5585/94 – abzuändern und festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die seitens der Beklagten mit Schreiben vom 25.05.1994 ausgesprochene Kündigung aufgelöst ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß das Arbeitsgericht die Klage aus zutreffenden Erwägungen abgewiesen habe. Sie hat in der Berufungsverhandlung erklären lassen, es sei zutreffend, daß die auf Veranlassung des Klägervertreters dem Gericht vorgelegten, Bl. 259-268 d.A. bildenden Betriebsvereinbarungen vom 24.04.89 und vom 21.03.89 im maßgeblichen Zeitraum Anwendung fanden. Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten im 2. Rechtszug wird auf den in mündlicher Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 09.10.95 (Bl. 220-230 d.A.) und das Verhandlungsprotokoll vom 30.01.96 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die gem. § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und ausgeführte (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 518 Abs. 1 und 2, 519 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO) und auch im übrigen zulässige Berufun...

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