Entscheidungsstichwort (Thema)
außerordentliche Kündigung. Integrationsamt. Zustellung des Widerspruchsbescheids als maßgeblicher Zeitpunkt für den Lauf der Zwei-Wochen-Frist nach § 626 Abs. 2 BGB
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt nach einem erfolgreichen Widerspruch gegen die ablehnende Entscheidung des Integrationsamts erst mit Zustellung des Widerspruchsbescheids.
2. Das vorzeitige und nicht gerechtfertigte Verlassen des Arbeitsplatzes gegen 20.00 Uhr und das Veranlassen eines Arbeitskollegen zum Arbeitsende 23.00 Uhr abzustempeln, um ein ordnungsgemäßes Arbeitsende vorzutäuschen, stellt eine schwerwiegende Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar und berechtigt zur außerordentlichen Kündigung.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 16.12.2003; Aktenzeichen 11 Ca 3529/02) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 16.12.2003 – 11 Ca 3529/02 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten am 27.03.2002 ausgesprochenen fristlosen Kündigung.
Der 35-jährige, verheiratete und einem Kind unterhaltspflichtige Kläger ist seit Juni 1991 bei der ca. 1000 Arbeitnehmer beschäftigenden Beklagten als Einsteller zu einem Monatsverdienst von zuletzt ca. 3.000,– EUR tätig. Ihm ist ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt. Auslöser der Kündigung vom 27.03.2002 war, dass der Kläger am 21.09.2001 gegen 20.00 Uhr den Arbeitsplatz verlassen und einen Arbeitskollegen dazu veranlasst hat, seine Anwesenheit erst für 23.00 Uhr mit der Zeiterfassungskarte abzustempeln. Nach zustimmendem Bescheid des Widerspruchsausschusses des Integrationsamts vom 26.03.2002 kündigte die Beklagte am 27.03.2002 nach gleichzeitiger Zustellung des Bescheids fristlos.
Die am 03.04.2002 beim Arbeitsgericht eingegangene Klage wurde mit Urteil des Arbeitsgerichts vom 16.12.2003 abgewiesen. Das Verhalten des Klägers mit Hilfe eines Dritten die unberechtigte Bezahlung von drei Arbeitsstunden durch unkorrektes Abstempeln der Zeiterfassungskarte erreichen zu wollen, sei gravierende Vertragsverletzung und rechtfertige unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen die fristlose Kündigung. Ungeachtet der mündlichen Bekanntgabe der zustimmenden Entscheidung des Widerspruchsausschusses vom 19.02.2002 sei die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB mit Zugang der Kündigung beim Kläger am 27.03.2002 gewahrt, da im Widerspruchsverfahren nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die Zustellung des schriftlichen Bescheids maßgeblich sei.
Gegen das am 19.12.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24.12.2003 Berufung eingelegt und diese am 05.01.2004 begründet. Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei nach der Regelung über die Zustimmung des Integrationsamts die Kündigung noch nach Ablauf der Zweiwochenfrist möglich, wenn sie unverzüglich erklärt werde. Nach der § 21 SchwBG entsprechenden Vorschrift des § 91 SGB IX sei für den Lauf der Zweiwochenfrist im Gegensatz zur ordentlichen Kündigung ausdrücklich keine Zustellung, sondern nur die Kenntnis der Entscheidung maßgeblich. Eine Erteilung der Zustimmung im Sinne von § 91 Abs. 5 SGB IX erfolge daher mit der (fern-)mündlichen Bekanntmachung und nicht erst durch Zustellung der Widerspruchsentscheidung.
Die Beurteilung der fristlosen Kündigung sei nicht an einer strafrechtlichen Würdigung zu orientieren. Der einmalige Verstoß gegen arbeitsrechtliche Pflichten bei mehr als zehnjähriger Betriebszugehörigkeit, der Schwerbehinderung des Klägers und unter Berücksichtigung seiner Unterhaltspflichten gebiete, dass die Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers ausfallen müsse.
Demgemäß beantragt der Kläger:
Unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 16.12.2003, 11 Ca 3529/02, wird festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten vom 27.03.2002 unwirksam ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung wird zurückgewiesen.
Die fristlose Kündigung sei unter Beachtung der Zweiwochenfrist ausgesprochen. Der Kläger unterscheide nicht genügend zwischen der dem Zustimmungsverfahren vor den Integrationsämtern zugeordneten Vorschrift des § 91 SGB IX und dem an den Vorschriften der §§ 69 ff VwGO orientierten Widerspruchsverfahren, das eine förmliche Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids fordere. Dies werde mittelbar durch § 118 SGB IX bestätigt, der die Zuständigkeit für den Erlass von Widerspruchsbescheiden gegen die Verwaltungsakte der Integrationsämter regele. Die vom Kläger zitierte Rechtssprechung sei daher nicht einschlägig. Das Arbeitsgericht habe auch das Verhalten des Klägers zutreffend unter umfassender Einzelfallbetrachtung als Grundlage für eine fristlose Kündigung gewertet.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgericht...