Entscheidungsstichwort (Thema)
Regelungsrecht der Tarifvertragsparteien bezüglich Abweichungen von der Höchstüberlassungsdauer nach AÜG. Verfassungsgemäßheit (insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG) des § 1 Abs. 1b AÜG. Regelungen der Tarifvertragsparteien zur Einsatzdauer als bloße Betriebsnormen im Sinne des § 3 Abs. 2 TVG. Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten nach dem TV Leih-/Zeitarbeit auch für Nichtmitglieder der IG Metall
Leitsatz (amtlich)
1. § 1 Abs. 1b AÜG eröffnet den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche, durch Tarifvertrag abweichende Regelungen zur Überlassungshöchstdauer gem. § 1 Abs. 1b Satz 1 1. Halbs. AÜG zu treffen sowie Abweichungen zur Einsatzdauer gem. § 1 Abs. 1b Satz 1 2. Halbs. AÜG.
2. § 1 Abs. 1b AÜG verstößt weder gegen die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien der Zeitarbeitsbranche noch gegen die negative Koalitionsfreiheit. Ebensowenig verstößt die Norm gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.
3. Machen die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche von der Möglichkeit des § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG vollumfänglich Gebrauch, sind die Regelungen zur Einsatzdauer im Einsatzbetrieb des Entleihers bloße Betriebsnormen iSd. § 3 Abs. 2 TVG (anderer Ansicht LAG Baden-Württemberg 02.12.2020 - 4 Sa 16/20 - nicht rechtskräftig). Durch diese Betriebsnormen für die Betriebe der Einsatzbranche wird ein bloßer Reflex mit mittelbarer Wirkung für das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und dessen Arbeitnehmer geschaffen. Sie wirken in diesem Vertragsverhältnis bei der Überlassungshöchstdauer nicht als Inhaltsnorm iSd. § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 TVG.
4. Nr. 2.3 des von Südwestmetall und der IG Metall, Bezirk Baden-Württemberg abgeschlossenen Tarifvertrags Leih-/Zeitarbeit (TV Leiz), mit welcher die Höchstdauer eines Einsatzes von Leiharbeitnehmern auf 48 Monate angehoben wurde, bwwirkt deshalb auch für Nichtmitglieder der IG Metall eine Abweichung von der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gem. § 1 Abs. 1b Satz 1 1. Halbs. AÜG.
Normenkette
AÜG § 1 Abs. 1b Sätze 1, 3, § 9 Abs. 1 Nr. 1b, § 10 Abs. 1 S. 1, § 19 Abs. 2; TVG § 3 Abs. 1-2, § 4 Abs. 1 Sätze 1-2; TV LeiZ Nr. 2.3
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 21.11.2019; Aktenzeichen 28 Ca 3686/19) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 21.11.2019 - Az: 28 Ca 3686/19 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen während der Tätigkeit des Klägers für seine Vertragsarbeitgeberin im Betrieb der Beklagten ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist.
Der am 00.00.0000 geborene, ledige Kläger steht seit dem 15. März 2017 in einem Arbeitsverhältnis mit der Firma S. E. GmbH (im Weiteren: Vertragsarbeitgeberin) und ist für diese als Kfz-Meister zu einem monatlichen Bruttomonatsgrundgehalt von zuletzt 3.083,33 € tätig. In § 2 des Arbeitsvertrags, das diesem Vertragsverhältnis zugrunde liegt, wird darauf hingewiesen, dass die Vertragsarbeitgeberin des Klägers über die Erlaubnis verfügt, Arbeitnehmer entsprechend den Regelungen zur Arbeitnehmerüberlassung an Kunden (Entleiher) zu überlassen und der Kläger sich damit einverstanden erklärt hat und verpflichtet, auch bei Entleihern Arbeitstätigkeit zu erbringen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrags zwischen dem Kläger und seiner Vertragsarbeitgeberin (datiert) vom 26. Februar 2017 samt Anlagen wird im Übrigen vollinhaltlich auf Bl. 9 bis 17 der Akten-ArbG verwiesen. Unter dem 3. Mai 2017 schlossen der Kläger und seine Vertragsarbeitgeberin eine Zusatzvereinbarung über eine Tätigkeit im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung bei der Beklagten ab dem 11. Mai 2017, wonach der Kläger für seine Tätigkeit bei der Beklagten von seiner Vertragsarbeitgeberin nach dem Tarifvertrag iGZ zu vergüten ist (vgl. Einzelheiten dieser Vereinbarung Bl. 18 der Akten-ArbG).
Ab 11. Mai 2017 war der Kläger bis zum 30. April 2019 im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung von seiner Vertragsarbeitgeberin als Verleiherin bei der Beklagten als Entleiherin gemäß Einzelabruf Arbeitnehmerüberlassung zum Rahmentarifvertrag Arbeitnehmerüberlassung zwischen der Beklagten und der Vertragsarbeitgeberin des Klägers betreffend die Person des Klägers (vgl. Einzelheiten Bl. 52 bis 55 der Akten-ArbG) eingesetzt und der Kläger erhielt während dieser Zeit zuletzt ein Bruttomonatsgehalt von seiner Vertragsarbeitgeberin in Höhe von 4.684,68 € (inklusive eines Branchenzuschlags in Höhe von 1.601,35 €) gezahlt (vgl. Abrechnung für April 2019, Bl. 19 der Akten-ArbG).
Der Kläger war im Überlassungszeitraum zu keinem Zeitpunkt Mitglieder der IG Metall und auch danach bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht.
Die Beklagte ist seit langer Zeit Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg (SÜDWESTMETALL).
Zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg und der IG Metall, Bezir...