Entscheidungsstichwort (Thema)
OT-Mitgliedschaft. mitgliedschaftliche Tarifgebundenheit versus Tarifzuständigkeit. Aussetzung des Rechtsstreits nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG. Ausgestaltung der Verbandssatzung. einvernehmlicher sofortiger Statuswechsel von der T-Mitgliedschaft in die OT-Mitgliedschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Die OT-Mitgliedschaft im so genannten Stufenmodell ist an sich zulässig (im Anschluss an BAG, Beschluss vom 18.07.2006 – 1 ABR 36/05 – AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 19; BAG, Urteil vom 23.02.2005 – 4 AZR 186/04 – AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 42). Ihre Zulässigkeit im Streitfall hängt von der Ausgestaltung der Verbandssatzung ab.
2. Die OT-Mitgliedschaft betrifft nicht die personelle Tarifzuständigkeit, sondern die mitgliedschaftliche Tarifgebundenheit. Deswegen kommt eine Aussetzung des Rechtsstreites nach § 97 Absatz 5 Satz 1 ArbGG nicht in Betracht (entgegen BAG, Urteil vom 23.02.2005 – 4 AZR 186/04 – AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 42; BAG, Beschluss vom 23.10.1996 – 4 AZR 409/95 (A) – AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 15).
3. Selbst ein während laufender Tarifverhandlungen erfolgter einvernehmlicher, mit sofortiger Wirkung erfolgter Wechsel von der T-Mitgliedschaft in die OT-Mitgliedschaft ist zulässig. Das einer funktionierenden Tarifautonomie zu Grunde liegende Kräftegleichgewicht wird dadurch nicht verschoben, denn es besteht für die Tarifvertragsparteien weder ein Verhandlungsanspruch geschweige denn ein Anspruch auf Abschluss eines Tarifvertrages. Das tarifverhandlungsakzessorische Arbeitskampfrecht sichert die Funktionalität der Tarifautonomie ab.
Normenkette
ArbGG § 97 Abs. 5, § 2a Abs. 1 Nr. 4; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1; TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Reutlingen (Urteil vom 14.07.2006; Aktenzeichen 4 Ca 505/05) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 14.07.2006 – 4 Ca 505/05 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger tarifliche Lohnerhöhungen zu zahlen.
Der am … 1959 geborene Kläger ist seit 26.08.1991 im Versandbereich der Beklagten, einem Unternehmen des Einzelhandels, als Kraftfahrer mit benötigter Führerscheinklasse 2 beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses der Parteien ist der Arbeitsvertrag vom 12.08.1991, auf den Bezug genommen wird (Blatt 8 bis 10 der ArbG-Akte). Dessen § 14 lautet wie folgt:
„Die Tarifverträge für den Einzelhandel sowie die Betriebsordnung finden in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Die Bestimmungen dieses Vertrages sind vorrangig, soweit nicht zwingende tarifliche Regelungen bestehen. Der Arbeitnehmer erklärt, dass er von diesen Bestimmungen Kenntnis genommen hat.”
Die Beklagte, die bereits längere Zeit vor Abschluss des Arbeitsvertrages Mitglied des Einzelhandelsverbandes war, beantragte mit Schreiben vom 13.05.2003 (Blatt 47 der ArbG-Akte) die Mitgliedschaft im Verband der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels Baden-Württemberg e. V. als Mitglied ohne Tarifbindung (fortan OT-Mitgliedschaft). Mit Schreiben vom 14.05.2003 (Blatt 32 der ArbG-Akte) bestätigte der Verband die OT-Mitgliedschaft „ab sofort”. Die Verbandssatzung in der Fassung vom 06.11.2003, auf die im Übrigen verwiesen wird (Blatt 48 bis 55 der ArbG-Akte), lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 4 a Tarifbindung
1.
Die Mitgliedschaft im Sinne von § 3 kann als eine solche mit Verbandstarifbindung (Mitglied T) als auch eine ohne Verbandstarifbindung (Mitglied OT) erworben werden.
2.
Mitglieder, die eine Verbandstarifbindung nicht wünschen und aus der Tarifgemeinschaft ausscheiden wollen, können sich hiervon mit schriftlicher Erklärung an die Geschäftsstelle des Verbandes befreien.
Erfolgt diese Erklärung während der Laufzeit eines Verbandstarifvertrages, so wird sie erst mit dessen Ablauf (einschließlich Nachwirkung im Sinne von § 3 Abs. 3 TVG) wirksam.
Über die Folgen des Austritts aus der Tarifgemeinschaft ist das Mitglied schriftlich durch die Geschäftsstelle aufzuklären.
3.
Mitglieder ohne Tarifbindung werden von den vom Verband abgeschlossenen Tarifverträgen nicht erfasst. Der Abschluss eines firmentarifbezogenen Verbandstarifvertrages ist ausgeschlossen.
4.
Die Mitglieder mit Verbandstarifbindung benennen und entsenden aus ihren Reihen Vertreter des eigenen Unternehmens in den Tarifpolitischen Ausschuss (§ 4 b) durch schriftliche Mitteilung an die Geschäftsstelle des Verbandes.
Mitglieder ohne Verbandstarifbindung haben kein Benennungs- und Entsenderecht.
5.
Die Beschlußfassung in der Mitgliederversammlung über Tariffragen und Arbeitskampfmaßnahmen unterliegt allein den Mitgliedern mit Verbandstarifbindung.
§ 4 b Tarifpolitischer Ausschuß
1.
Dem Tarifpolitischen Ausschuß gehören an:
- Der Vorsitzende des Verbandes, sofern er einem Unternehmen mit Verbandstarifbindung zugehörig ist. Im übrigen wird der amtierende Vorsitzende wie seine Stellvertreter g...