Entscheidungsstichwort (Thema)

Formfreie Abänderung vergleichsweiser Beendigungsvereinbarung durch die Arbeitnehmerin bei Einräumung eines eigenes Rechts zur vorzeitigen Lossagung vom Arbeitsverhältnis unter gleichzeitiger Erhöhung der Abfindung. Feststellungsklage der Arbeitnehmerin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Faxnachricht trotz rechtskräftiger Feststellung der Unwirksamkeit einer späteren außerordentlichen Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Streitgegenstand und damit der Umfang der Rechtskraft eines stattgebenden Kündigungsschutzurteils kann dahingehend beschränkt sein, dass die (streitige) Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch eine frühere Kündigung ausgeklammert wird; der Arbeitgeberin kann dann nicht entgegen gehalten werden, dass der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bereits rechtskräftig festgestellt worden ist, wozu allerdings ausreichend Anhaltspunkte in dem prozessualen Verhalten der Parteien erforderlich sind, wonach sie trotz rechtskräftig für unwirksam erklärter Kündigung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch zuvor eingetretene Umstände "offen halten" und damit der Rechtskraft der Entscheidung über die spätere Kündigung entziehen wollen.

2. Hat die Arbeitnehmerin in ihrer Kündigungsschutzklage ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Arbeitsverhältnis bereits vor dem Ausspruch der arbeitgeberseitigen Kündigung aufgrund ihrer eigenen Erklärung beendet worden ist, und haben die Parteien in den erstinstanzlichen Schriftsätzen auch immer wieder erörtert, ob die streitgegenständliche fristlose Kündigung nicht "ins Leere" geht, steht die rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Arbeitgeberin nicht beendet worden ist, einer Feststellungsklage zur vorherigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Erklärung der Arbeitnehmerin nicht entgegen.

3. Räumen die Parteien in einem Vergleich der Arbeitnehmerin die Möglichkeit ein, durch eine schriftliche Erklärung, welche gegenüber der Arbeitgeberin "anzuzeigen ist", vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden, wird damit nicht auf die gesetzliche Schriftform verzichtet, weil diese nicht zur Disposition der Parteien steht; auch wenn die Arbeitnehmerin nur eine "Anzeigepflicht" hat, ändert das nichts daran, dass die gesetzliche Schriftform dann zu beachten ist, wenn diese Art von Erklärung vom Tatbestand des § 623 BGB erfasst wird.

4. Der Umstand, dass die Parteien in ihrem Vergleich, an dem neben dem Arbeitsgericht zwei Rechtsanwälte mitgewirkt haben, von "einem Recht zum vorzeitigen Ausscheiden" sprechen, das die Arbeitnehmerin mit einer "Ankündigungsfrist" gegenüber der Arbeitgeberin "anzuzeigen hat", weist darauf hin, dass damit für die Arbeitnehmerin nicht nur eine modifizierte Möglichkeit zur Kündigung mit verkürzter Kündigungsfrist sondern ein eigenes Recht zur vorzeitigen Lossagung vom Arbeitsverhältnis (unter gleichzeitiger Erhöhung der Abfindung) geschaffen werden soll.

5. Wird der Arbeitnehmerin in einem Vergleich der Sache nach das einseitige Recht zur Abänderung der Vereinbarungen des Vergleiches bezüglich des Beendigungszeitpunktes und der Höhe der Abfindung eingeräumt, findet auf dieses Gestaltungsrecht § 623 BGB keine Anwendung, da diese Vorschrift nur für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine Kündigung oder einen Aufhebungsvertrag gilt und die Parteien die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits durch den gerichtlichen Vergleich, der der Sache nach entweder ein Aufhebungsvertrag oder ein Abwicklungsvertrag ist, formwirksam vereinbart haben.

6. Zielt die nach einem Vergleich erforderliche Erklärung der Arbeitnehmerin nicht darauf ab, das bestehende Arbeitsverhältnis zu beenden sondern die bereits getroffene Beendigungsvereinbarung abzuändern, ist dies formfrei möglich; jedenfalls gilt hierfür nicht die gesetzliche Schriftform nach §§ 623, § 126 Abs. 1 BGB sondern es ist lediglich die von den Parteien vereinbarte gewillkürte Schriftform gemäß § 127 Abs. 2 BGB zu beachten.

 

Normenkette

BGB § 126 Abs. 1, § 127 Abs. 2, § 611 Abs. 1, §§ 623, 779; ZPO § 256 Abs. 1, § 278 Abs. 6, § 322

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 17.12.2015; Aktenzeichen 6 AZR 709/14)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 01.04.2014, Az. 11 Ca 1/14 insgesamt abgeändert und wie folgt insgesamt neu gefasst:

    1. Es wird festgestellt, dass die Klägerin durch die mit Telefaxschreiben vom 26.11.2013 erfolgte Ankündigung zum 30.11.2013 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist.
    2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  • II.

    Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin das Arbeitsverhältnis formgerecht durch eine einseitige Erklärung entsprechend einer Vereinbarung in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vorzeitig beendet hat.

Die Klägerin war seit dem 13. Mai 1997 zunächst als Krankenschwester und seit Januar 2011 als Pflegedienstleiterin zu einem monatlichen Bru...

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