Entscheidungsstichwort (Thema)

Ansprüche des Arbeitgebers bei nachträglicher Feststellung des Arbeitnehmerstatus eines vermeintlich freien Mitarbeiters. Anspruch auf Rückzahlung gezahlter Umsatzsteuer. Wirksamkeit der Freigabe der vermeintlich selbständigen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird der Arbeitnehmerstatus eines vermeintlich freien Mitarbeiters rückwirkend festgestellt, kann der Dienstberechtigte die auf die Rechnungen des vermeintlich freien Mitarbeiters an diesen gezahlte Umsatzsteuer im Wege der Leistungskondiktion zurückverlangen. Er ist nicht darauf zu verweisen, die zu Unrecht an den Mitarbeiter gezahlte Umsatzsteuer vom Finanzamt im Rahmen seiner Umsatzsteuererklärung erstattet zu erhalten. Ein Fall der (zwingenden) Durchgriffskondiktion liegt nicht vor, vielmehr kann der Gläubiger eine Rückabwicklung "über Eck" verlangen.

2. Erteilt ein Insolvenzverwalter gegenüber einem Insolvenzschuldner die Freigabe des vermeintlich selbstständig geführten Geschäftsbetriebs gemäß § 35 Abs. 2 InsO, wird diese Freigabe nicht dadurch unwirksam, dass sich später herausstellt, dass der Insolvenzschuldner in Wahrheit Arbeitnehmer war. Anderes kann gelten, wenn die Freigabe von Anfang an offensichtlich unwirksam war, weil der Insolvenzverwalter aufgrund konkreter Anhaltspunkte davon hätte ausgehen müssen, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegt.

 

Normenkette

ZPO § 767; BGB §§ 195, 199 Abs. 1, § 273 Abs. 1, §§ 387, 390, 611a Abs. 1 S. 1, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 818 Abs. 3; GewO § 108 Abs. 1 S. 1; InsO § 35 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 15.05.2018; Aktenzeichen 27 Ca 239/17)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Anschlussberufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - vom 15.05.2018 - Az: 27 Ca 239/17 - insoweit aufgehoben, als das Arbeitsgericht die Widerklage des Beklagten, die Klägerin zu verpflichten, die sich aus der zwischen den Parteien vereinbarten Vergütung für die Monate Oktober 2011 bis einschließlich Juni 2014 ergebenden Sozialversicherungsbeiträge an den zuständigen Sozialversicherungsträger abzuführen, als unzulässig abgewiesen hat.

  • II.

    Die weitergehende Anschlussberufung des Beklagten gegen die in I. dieses Tenors genannte Entscheidung des Arbeitsgerichts wird zurückgewiesen.

  • III.

    Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - vom 15.05.2018 - Az: 27 Ca 239/17 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    1. Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 24.05.2017 - Az: 3 Sa 27/16 - wird für unzulässig erklärt.
    2. Der Beklagte wird verurteilt, die vollstreckbare Ausfertigung des in Ziff. III. 1) des Tenors dieses Urteils genannte Entscheidung des Landesarbeitsgerichts an die Klägerin herauszugeben.
    3. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 30.486,29 zzgl. Zinsen p. a. hieraus iHv. 5 %-Punkten über dem gesetzlichen Basiszinssatz seit 05.01.2018 zu zahlen.
    4. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • IV.

    Die weitergehende Berufung der Klägerin gegen das in Ziff. I. des Tenors des vorliegenden Urteils genannte Urteil des Arbeitsgerichts wird zurückgewiesen.

  • V.

    Der Beklagte hat 7/8, die Klägerin 1/8 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  • VI.

    Soweit

    • -

      die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt worden ist,

    • -

      der Beklagte zur Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung verurteilt worden ist,

    • -

      der Beklagte zur Zahlung von EUR 30.486,29 zzgl. Zinsen verurteilt worden ist,

    wird die Revision für den Beklagten zugelassen.

    Im Übrigen wird die Revision weder für den Beklagten noch für die Klägerin zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die vom Beklagten gegenüber der Klägerin betriebene Zwangsvollstreckung aus einem Zahlungstitel unzulässig ist und der Beklagte zur Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Vollstreckungstitels an die Klägerin verpflichtet ist. Darüber hinaus streiten die Parteien darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, von der Klägerin an ihn geleistete Umsatzsteuerzahlungen an die Klägerin zurückzuzahlen und im Rahmen der Anschlussberufung des Beklagten darüber, ob die Klägerin verpflichtet ist, dem Beklagten Lohnabrechnungen über bzw. für die Monate Oktober 2011 bis einschließlich Juni 2014 zu erteilen, aus denen etwaige abzuführende oder abgeführte Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ersichtlich sind.

Der am XX.XX.XXXX geborene Beklagte war bei der Klägerin ab 12. Oktober 2010 im kaufmännischen Bereich tätig. Die Klägerin ging dabei von Beginn an davon aus, dass der Beklagte als selbständiger betriebswirtschaftlicher Berater für sie tätig ist. Eine schriftliche Vertragsgrundlage für diese Tätigkeit des Beklagten bei der Klägerin ist nicht vorhanden. Der Beklagte stellte der Klägerin von Beginn an monatliche Rechnungen über die von ihm erbrachten Tätigkeiten. Im Zeitraum 12. Oktober 2010 bis 30. September 2011 stellte der Beklagte auf dem Briefpapier der M. GmbH, deren Geschäftsführer er war, der Beklagten Rechnungen für seine kaufmä...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge