Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Rechtsunwirksamkeit einer (mangels vorhandener Beschäftigungsmöglichkeiten ausgesprochenen) Kündigung nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB „wegen Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils” scheidet aus, wenn bezogen auf den Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs kein Betriebs- bzw. Teilbetriebsübergang i.S.v. § 613a BGB stattgefunden hat.

2. In Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit darstellt, kann eine solche Einheit ihre Identität über ihren Übergang hinaus bewahren, wenn der neue Inhaber nicht lediglich die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt. Der bloße Verlust eines Auftrags an einen Mitbewerber für sich stellt keinen Betriebsübergang dar. Die bloße Funktionsnachfolge reicht für die Annahme eines Betriebsübergangs nicht aus.

 

Normenkette

BGB § 613a; KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Mannheim (Urteil vom 19.05.2005; Aktenzeichen 5 Ca 645/04)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.09.2007; Aktenzeichen 8 AZR 942/06)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim (HD) vom 19.05.2005 – 5 Ca 645/04 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer vom Beklagten Ziff. 1 als Insolvenzverwalter ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 29.10.2004 zum 31.01.2005 sowie über das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses des Klägers mit den Beklagten Ziff. 2 und 3 ab dem 08.11.2004 wegen Betriebsüberganges. In der Berufungsinstanz hat der Kläger darüber hinaus klageerweiternd ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten Ziff. 4 als Betriebsübernehmerin mit Wirkung ab dem 01.07.2005 und den ungekündigten Fortbestand eines derartigen Arbeitsverhältnisses geltend gemacht.

Der Kläger war seit 1994 als Arbeiter für Sortierarbeiten bei einer auf der Mülldeponie S betriebenen Müllsortieranlage beschäftigt. Bei dieser Anlage, die zur Trennung wertstoffhaltigen Mülls nach den unterschiedlichen Wertstoffen bestimmt ist, handelt es sich um ein weitgehend automatisiertes bzw. computergesteuertes System, innerhalb dessen das zu trennende Material auf kreuz und quer verlaufenden Laufbändern, insoweit mehr als 100 an der Zahl, bewegt wird. Der Einsatz menschlicher Arbeitskraft ist zum Einen erforderlich zum Zweck der laufenden technischen Überwachung, Wartung und Störungsbeseitigung, desweiteren fallen aber auch Sortierarbeiten an, die nicht automatisch bewerkstelligt werden können.

Die Beklagte Ziff. 2 war bis zum 30.06.2005 Eigentümerin und Betreiberin der Müllsortieranlage. In der Anfangszeit ließ sie sämtliche anfallenden Arbeiten, also auch die Sortierarbeiten, von eigenen Arbeitnehmern verrichten. Ab Anfang 1995 wurden die Sortiertätigkeiten, die nach kurzer Einarbeitung (nicht mehr als zwei Stunden) von ungelernten Kräften verrichtet werden können, fremdvergeben, insoweit ab dem 01.04.2001 an die spätere Insolvenzschuldnerin, die Firma S S D GmbH (i. d. F.: Insolvenzschuldnerin). Nach dem zwischen der Beklagten Ziff. 2 und der Insolvenzschuldnerin als Werkvertrag konzipierten Sortiervertrag war die Insolvenzschuldnerin verpflichtet, den von der Auftraggeberin der Beklagten Ziff. 2 – zuletzt einer kreiseigenen Abfallverwertungsgesellschaft – abgekippten unsortierten wertstoffhaltigen Müll aufzunehmen und sodann, bis hin zur Ablage des endgültig (meist in Form gepresster Ballen) getrennten Materials, die anfallenden manuellen Sortiertätigkeiten zu verrichten. Die Vergütung war ergebnisbezogen, je nach Anzahl der sortierten Tonnagen, vereinbart. Die Beklagte Ziff. 2 blieb Arbeitgeberin des zum Betrieb der Anlage benötigten qualifizierten technischen Personals (im Wesentlichen Schlosser und Elektriker, insoweit mindestens fünf Arbeitnehmern einschließlich eines Werkstattleiters). Es ist – wenngleich die Einzelheiten unklar sind – unstreitig, dass die von der Insolvenzschuldnerin beschäftigten Arbeitnehmer mit den von der Beklagten Ziff. 2 im Rahmen des Sortiervertrages überlassenen Geräten – Radlader und Gabelstapler – den abgekippten Müll auf die Anlage aufzuladen und am Schluss Material wegzuschaffen hatten.

Die Beklagte Ziff. 2, alleinige Gesellschafterin der Insolvenzschuldnerin, begründete mit dieser mit Wirkung ab dem 19.12.2001 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Geschäftsführerin der Insolvenzschuldnerin und zugleich Prokuristin bei der Beklagten Ziff. 2 war eine Frau U W. Die Insolvenzschuldnerin beschäftigte zum Zweck der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem mit der Beklagten Ziff. 2 abgeschlossenen Sortiervertrag 115 Arbeitnehmer, darunter 32 Leiharbeitnehmer und 2 Vorarbeiter. Es wurden zwei Schichten (06:00 bis 15:00 Uhr Frühschicht, 16:00 bis 24:00 Uhr Spätschicht) betri...

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