Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung einer tariflich altersgesicherten Reinigungskraft
Leitsatz (amtlich)
Tariflich Altersgesicherte können nicht aus verhaltensbedingten Gründen mit einer sozialen Auslauffrist außerordentlich gekündigt werden. Gibt ein Arbeitgeber durch Einräumung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist zu erkennen, dass ihm bis dahin eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers als zumutbar erscheint, so würde die Zulassung einer außerodentlichen Auslauffristkündigung den Schutz der tariflichen Alterssicherung unterlaufen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; TVöD § 34 Abs. 2; ZPO § 520 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 30.01.2014; Aktenzeichen 10 Ca 1737/13) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart, Kn. Ludwigsburg - vom 30.01.2014 (10 Ca 1737/13) wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist, sowie über Weiterbeschäftigung.
Die Beklagte betreibt im Landkreis L. mehrere Krankenhäuser, unter anderem in B.. Sie beschäftigt ca. 5.000 Mitarbeiter. Ein Betriebsrat ist bei ihr gebildet.
Die Klägerin ist bei der Beklagten beschäftigt als Reinigungskraft. Ursprünglich war sie tätig im Krankenhaus V.. Seit vielen Jahren wird sie nunmehr eingesetzt im Krankenhaus B.. Sie ist beschäftigt in Teilzeit mit einem Beschäftigungsvolumen von 50 % einer Vollzeitkraft. Sie verdient monatlich durchschnittlich ca. 1.200,00 € brutto. Auf das Arbeitsverhältnis sind die Vorschriften des TVöD anwendbar. Die Klägerin ist tariflich altersgesichert.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 19.09.2013 (Bl. 8 d. arbeitsgerichtlichen Akte) "außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum Ablauf des 31.03.2014". Hiergegen richtet sich die vorliegende Kündigungsschutzklage, die als Klageerweiterungsantrag zu einem von diesem Verfahren mittlerweile abgetrennten Abmahnungsrechtsstreit am 23.09.2013 beim Arbeitsgericht einging.
Die Beklagte stützte die Kündigung auf einen von der Klägerin bestrittenen Vorfall vom 11.09.2013. Die Klägerin soll nach Behauptung der Beklagten ihrer Vorgesetzten Frau T. eine Ohrfeige angedroht haben, beziehungsweise für den Fall, dass sie der Vorgesetzten die Ohrfeige nicht selbst verpassen könne, angedroht haben, dass ihr Sohn die Vorgesetzte ohrfeigen werde.
Die Klägerin hielt die Kündigung für unwirksam und vertrat vor allem die Rechtsansicht, bei verhaltensbedingten Kündigungslagen sei gegenüber tariflich Altersgesicherten eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ausgeschlossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlich unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß §§ 69 Abs. 2, 3 Satz 2 ArbGG auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 30.01.2014 stattgegeben und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung der Klägerin verurteilt. Das Arbeitsgericht führte zur Begründung aus, die Beklagte habe zwar formal eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen. Durch die Einräumung einer Auslauffrist habe sie aber zum Ausdruck gebracht, dass ihr eine Weiterbeschäftigung innerhalb einer (fiktiven) Kündigungsfrist noch zumutbar erscheine. Die Beklagte müsse sich an ihrer eigenen Bewertung von der Schwere und den Auswirkungen des Kündigungsanlasses festhalten lassen. Die Beklagte habe somit wertungsmäßig dasselbe Ergebnis erzielen wollen wie mit einer ordentlichen Kündigung, welche aber tariflich ausgeschlossen sei. Auch die von der Beklagten vorgebrachten sozialen Erwägungen, die der Einräumung der Auslauffrist zugrunde gelegen haben sollen, könnten diesen Wertungswiderspruch nicht auflösen. Die Erwägungen hätten allenfalls dann beachtlich sein können, wenn die Beklagte die Klägerin während der Auslauffrist bezahlt freigestellt hätte.
Dieses Urteil wurde der Beklagtenseite am 24.03.2014 zugestellt. Hiergegen richtet sich die vorliegende Berufung, die am 22.04.2014 beim Landesarbeitsgericht einging und sogleich begründet wurde.
Die Beklagte rügt eine Verletzung materiellen Rechts.
Unter Wiederholung der Sachverhaltsdarstellung meint die Beklagte, das Verhalten der Klägerin sei für eine außerordentliche Kündigung an sich geeignet. Die Beklagte habe nicht deshalb mit einer Auslauffrist gekündigt, weil das Verhalten nur eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt hätte, sondern weil sie zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigt gewesen wäre.
Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die Beklagte als öffentliche Arbeitgeberin sich trotz an sich vorliegender Gründe für eine außerordentliche Kündigung sozial habe verhalten wollen....