Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellungsklage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bei Produktionsübernahme durch Generalbevollmächtigte. Weiterbeschäftigungsanspruchs nach Obsiegen der Arbeitnehmerin im Rechtsstreit um Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines Betriebsübergangs
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Betriebsübergang iSd. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB setzt einen Wechsel in der Person des Inhabers des Betriebs voraus. Der bisherige Betriebsinhaber muss seine wirtschaftliche Betätigung in dem Betrieb einstellen, der Übernehmer muss die Geschäftstätigkeit tatsächlich weiterführen oder wieder aufnehmen.
2. Maßgeblich ist die Weiterführung der Geschäftstätigkeit durch diejenige Person, die nunmehr für den Betrieb als Inhaber "verantwortlich" ist. Verantwortlich ist die Person, die den Betrieb im eigenen Namen führt und nach außen als Betriebsinhaber auftritt. Es kommt nicht allein darauf an, wer im Verhältnis zur Belegschaft als Inhaber auftritt, sondern auf die umfassende Nutzung des Betriebs nach außen.
3. Anwendung der in den Leitsätzen Ziff. 1 bis 2 wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (etwa BAG 27. September 2012 - 8 AZR 826/11) im Einzelfall eines Betriebsführungsvertrages.
Leitsatz (redaktionell)
1. Überträgt die Arbeitgeberin durch vertragliche Vereinbarung die komplette Produktion in Lohnfertigung einer Dritten mit dem Auftrag, den Betrieb zu führen, und tritt die Dritte in Lieferantenbeziehungen ausschließlich als Generalbevollmächtigte im Namen und auf Rechnung der Arbeitgeberin auf, liegt damit die für einen Betriebsübergang im Sinne des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB erforderliche umfassende Nutzung des Betriebs nach außen nicht vor, da keine Verfügungsbefugnis über den betrieblichen Funktionszusammenhang erlangt wurde; dass die Dritte gegenüber den Beschäftigten im eigenen Namen als Betriebsinhaberin auftritt, genügt für einen Betriebsübergang im Sinne des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht.
2. Der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei einem erst- oder zweitinstanzlichen Obsiegen der Arbeitnehmerin im Kündigungsschutzprozess besteht nicht nur, wenn über die Wirksamkeit einer Kündigung gestritten wird, sondern auch bei einem Streit über andere Beendigungstatbestände (Betriebsübergang).
Normenkette
BGB § 613a Abs. 6 S. 1, § 611 Abs. 1, § 613a Abs. 1 S. 1; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 17.07.2015; Aktenzeichen 26 Ca 1810/14) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Ludwigsburg - vom 17. Juli 2015 - 26 Ca 1810/14 insoweit abgeändert, als die Klage gegen die Beklagte zu 2. abgewiesen wurde:
- Es wird festgestellt, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2. über den 31. März 2011 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht.
- Die Beklagte zu 2. wird verurteilt, die Klägerin zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als gewerbliche Arbeitnehmerin weiter zu beschäftigen.
II.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu 2. zu tragen.
- Von den gerichtlichen Kosten erster Instanz und den außergerichtlichen Kosten erster Instanz der Klägerin haben die Beklagten zu 1. und zu 2. jeweils 50 % zu tragen. Im Übrigen haben die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten erster Instanz selbst zu tragen.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin und die Beklagte zu 2. streiten insbesondere noch darüber, ob das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen zum 1. April 2011 durch einen Betriebsübergang auf die Beklagte zu 1. übergegangen ist oder ob es bei der Beklagten zu 2 verblieben ist. Ferner begehrt die Klägerin, von der Beklagten zu 2. weiterbeschäftigt zu werden.
Die Klägerin war langjährig bei der Beklagten zu 2. (bzw. deren Rechtsvorgängerin) als Produktionsmitarbeiterin in deren Betrieb in O. beschäftigt. Der Betrieb war darauf ausgerichtet, Industrieprodukte, insbesondere in den Bereichen Holz- und Kunststoffwerkstoffe sowie Formteile, herzustellen, diese zu veredeln und Werk- und Dienstleistungen auf diesen Gebieten zu erbringen. Hierzu setzte die Beklagte zu 2. die in ihrem Eigentum stehenden Betriebsmittel, insbesondere Maschinen, Produktionsanlagen und das Betriebsgrundstück, sowie über 150 Arbeitnehmer ein. Weitere Betriebe unterhielt die Beklagte zu 2. in N. (T.) und in B..
Im Sommer des Jahres 2010 beschloss der Beirat der Beklagten zu 2. auszugsweise das Folgende:
"Die W. GmbH + Co. KG soll in Zukunft nur noch die Immobilien halten und verwalten sowie das Anlagevermögen, die Lizenzrechte sowie die sonstigen Vermögensgegenstände der Gesellschaft.
Der Betrieb der Gesellschaft soll zukünftig - im Wesentlichen unverändert - durch eine neu gegründete Schwestergesellschaft in der Rechtsform einer GmbH + Co. KG mit den gleichen Beteiligungsverhältnissen wie bei der W. GmbH + Co. KG geführt werden (W. I. GmbH + Co. KG). In der neuen Gesellschaft soll derselbe Beirat installie...