Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss der Kostenerstattung für vorgerichtliche Kosten der Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs
Leitsatz (amtlich)
1. Im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs besteht kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Erstattung der vorgerichtlichen Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten. Dies ergibt sich aus einer Auslegung der gesetzlichen Regelung des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG.
2. Entscheidend für eine Einbeziehung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in den Anwendungsbereich des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG spricht der mit der Regelung verfolgte Sinn und Zweck. Die intendierte kostengünstige Gestaltung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten streitet dafür, auch vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten einzubeziehen.
Normenkette
ArbGG § 12a Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Ulm (Entscheidung vom 05.05.2017; Aktenzeichen 4 Ca 44/17) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 05.05.2017 - 4 Ca 44/17 - wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten in der Berufungsinstanz noch die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten i.H.v. 865,00 €.
Die Klägerin ist ein Unternehmen des Konzernverbundes der L.-Gruppe, die in Deutschland über 300 Spielcenter betreibt. Die Beklagte war seit 2009 bei der Klägerin als Servicemitarbeiterin und zuletzt auch als Filialverantwortliche für mehrere Spielcenter beschäftigt. Um den Jahreswechsel 2016/2017 öffnete die Beklagte unerlaubt Gewinnspielgeräte der Klägerin in den Spielcentern R. und A. und entnahm hieraus sowie aus diversen Bargeldkassen in R., A-. und S. unerlaubt einen Betrag i.H.v. insgesamt 13.021,53 €.
Am 10. Januar 2017, vor der anstehenden nächsten Leerung der Kassen, bei der die Fehlbestände aufgefallen wären, offenbarte sich die Beklagte ihrem Vorgesetzten und unterzeichnete am 11. Januar 2017 ein Schuldanerkenntnis in Höhe der entwendeten Beträge (Anl. K1, Bl. 7 der erstinstanzlichen Akte).
Mit Schreiben vom 18. Januar 2017 forderte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beklagte zum Schadensausgleich einschließlich Kosten und Zinsen bis zum 27. Januar 2017 auf (Anl. K2, Bl. 8 f. der erstinstanzlichen Akte). Hierdurch fielen eine Geschäftsgebühr sowie eine Auslagenpauschale i.H.v. insgesamt 865,00 € an. Eine Zahlung der Beklagten erfolgte nicht.
Die Klägerin hat vorgetragen,
sie habe gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 242 StGB, §§ 280, 241 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch wegen vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Regelung des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG schließe diesen Anspruch nicht aus. Einer Anwendung von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG auf vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten stehe der eindeutige Gesetzeswortlaut, Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, die Gesetzessystematik sowie die gesetzliche Historie entgegen.
Die Regelung des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG schließe lediglich eine Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten im Urteilsverfahren des ersten Rechtszuges aus. Es gehe dabei um die Kosten, die durch die Einleitung (Klage) und Führung des Prozesses (gerichtliche Vertretung) in erster Instanz ausgelöst würden. Ein vorgerichtlicher Kostenerstattungsanspruch bleibe davon bereits nach dem Wortlaut der Norm unberührt, denn es handele sich insoweit nicht um Kosten, deren Entstehungsgrund der Rechtsstreit selbst sei. Dies werde besonders deutlich, wenn sich die Partei gerichtlich gar keines Prozessbevollmächtigten bediene, aber mit einer eigenen Schadensersatzklage die Erstattung vorgerichtlicher Kosten eines von ihr beauftragten Rechtsanwalts fordere. Vorgerichtliche Kosten blieben ebenso von der Regelung des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ausgenommen, wie die Kosten des Berufungsverfahrens, weil Entschädigungsgrund nicht der erstinstanzliche Rechtsstreit sei.
Auch der Gesetzeszweck der "Verbilligung" des erstinstanzlichen arbeitsgerichtlichen Verfahrens betreffe nicht die vorgerichtlich bereits entstandenen Kosten. Weiter spreche auch die Gesetzessystematik gegen eine Erweiterung des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG auf vorgerichtliche Kosten. So sei die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG schon im Rahmen der §§ 91 ff. ZPO prozessrechtlich nicht festsetzungsfähig. Wenn § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG dahingehend verstanden werde, dass ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch auch nicht auf der Basis einer materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage durchgesetzt werden könne, stehe die Systematik des Gesetzes einer Anwendung immer dann entgegen, wenn bereits kein prozessrechtlicher Kostenerstattungsanspruch bestehe. Auch gesetzeshistorisch habe ein Ausschluss vorgerichtlich entstandener Kosten nie in Rede gestanden.
Die Klägerin hat beantragt,
- die Beklagte zu...