Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Unkündbarkeit. Altersdiskriminierung. Kündigungsschutz älterer Arbeitnehmer. Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist. Auflösungsantrag des Arbeitsgebers bei unkündbarem Arbeitnehmer
Leitsatz (amtlich)
Kann nach dem einschlägigen Tarifvertrag dem Arbeitnehmer nicht mehr ordentlich, sondern nur außerordentlich gekündigt werden, ist der Arbeitgeber im Falle der Unwirksamkeit der erklärten außerordentlichen Kündigung mit einer sozialen Auslauffrist mit einen Auflösungsantrag ausgeschlossen. Eine analoge Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG scheidet mangels einer planwidrigen Gesetzeslücke aus.
Normenkette
Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden (MTV) § 4; TVG § 1 Abs. 1; KSchG §§ 1, 9 Abs. 9 S. 1, § 13 Abs. 1 S. 3; Richtlinie 2000/78/EG; BGB § 626 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Ulm (Urteil vom 21.03.2007; Aktenzeichen 2 Ca 15/06) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 21. März 2007 – Az.: 2 Ca 15/06 – wird auf Kosten der Berufungsführerin als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist vom 23. Dezember 2005 jeweils zum 30. Juni 2006 und einen arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag. Der vom Kläger im ersten Rechtszug zur Entscheidung gestellte und negativ beschiedene Weiterbeschäftigungsanspruch ist nicht mehr Verfahrensgegenstand.
Die Beklagte ist ein im Bereich der Luft- und Raumfahrt sowie der Verteidigungsindustrie tätiges Unternehmen mit zahlreichen Mitarbeitern. Sie ist Mitglied im Arbeitgeberverband Südwestmetall.
Der am 13. November 1950 geborene, verheiratete und drei Kindern gegenüber zu Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit 01. Januar 1977 bei der Beklagten als Systemingenieur beschäftigt. Er erhält als sogenannter „AT-Angestellter” eine jährliche Bruttovergütung von zuletzt 77.881,00 EUR. Er ist Mitglied der IG-Metall.
Der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden (MTV) regelt unter anderem:
§ 1 Geltungsbereich
1.1
Dieser Tarifvertrag gilt:
…
1.1.3
persönlich:
Für alle in diesen Betrieben beschäftigten Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellten, die Mitglied der IG-Metall sind;
…
1.1.3.2
Nicht als Angestellte im Sinne dieses Tarifvertrages gelten die Vorstandsmitglieder und gesetzlichen Vertreter von juristischen Personen und von Personengesamtheiten des privaten Rechts, ferner die Geschäftsführer und deren Stellvertreter, alle Prokuristen und die leitenden Angestellten im Sinne des 5 BetrVG.
…
§ 4 Kündigung und Aufhebungsvertrag
4.4
Einem Beschäftigten, der das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb mindestens drei Jahre angehört, kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Dies gilt auch für eine Änderungskündigung.
…”
Der Kläger wurde zum 01. Januar 2004 im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen mit Zustimmung des Betriebsrats in die Logistikabteilung versetzt. Mit Schriftsatz vom 10. August 2005 erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Ulm Klage (Az.: 1 Ca 7/06). In diesem Verfahren begehrte er unter anderem festzustellen, seine Versetzung sei unwirksam und er sei zu den Bedingungen vor seiner Versetzung zu beschäftigen, die Beklagte möge an ihn gerichtete Äußerungen widerrufen und solle zur Zahlung von Schmerzensgeld wegen Mobbings verurteilt werden. Das Arbeitsgericht Ulm hat die Anträge des Klägers mit Urteil vom 30. März 2006 abgewiesen (vgl. ABl. 170 – 183). Seine dagegen gerichtete Berufung blieb erfolglos (8 Sa 36/06).
Zur Begründung der mit Schriftsatz vom 04. Januar 2006, beim Arbeitsgericht Ulm eingegangen am 05. Januar 2006, angegriffenen Kündigung vom 23. Dezember 2005 beruft sich die Beklagte auf schriftliche Ausführungen des Klägers im Verfahren 1 Ca 7/06. Insbesondere habe der Kläger auf Seite 4 einer Stellungnahme vom 14. November 2005 vorgetragen, dass sein ehemaliger Vorgesetzter „aus der DDR-Armee NVA stammt und daher die westliche Arbeitsrechtskultur nicht verinnerlicht haben konnte”.
[Im vollen Wortlaut:
Die Beklagte hat auch die Defizite des VG für Führungsaufgaben nicht beachtet. Sie hat versäumt, den VG, der als technischer Experte für ein Gerät ostdeutscher Herkunft eingestellt worden war, für seine Führungsaufgabe, die er später übertragen bekam, hinreichend zu schulen. Es war allgemein bekannt, dass der VG aus der DDR-Armee NVA stammt und daher die westliche Arbeitsrechtkultur nicht verinnerlicht haben konnte. U. a. war ja bei der NVA gezielter Einsatz von Mobbing ein sanktioniertes Mittel der Personalführung gegen unliebsame Mitarbeiter. Der Kläger hat das Management der Beklagten auch wiederholt darauf angesprochen, jedoch ohne Erfolg. Nicht nur der Kläger war Leidtragender des vielfach überspannt auftretenden VG. Dieses Verhalten war im Kollegenkreis häufiges Gesprächsthema.]
Auf Seite 13 seine...