Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratsfähigkeit eines von mehreren Orchestern einer GmbH. Wahl zweier Betriebsräte im selben Betrieb mit teilweise sich überschneidenden Kompetenzbereichen
Leitsatz (amtlich)
Wählen die Arbeitnehmer eines nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BetrVG eigenständigen Betriebsteils einen Betriebsrat, obwohl für den Gesamtbetrieb bereits ein Betriebsrat existiert und nahezu zeitgleich mit der Wahl im Betriebsteil neu gewählt wird, so ist die erstgenannte Wahl nichtig, die zweitgenannte anfechtbar (im Anschluss an BAG 6 ABR 22/77, AP Nr. 8 zu § 19 BetrVG 1972 sowie LAG Hamm, 3 TaBV 108/96, AP Nr. 10 zu § 1 BetrVG 1972 Gemeinsamer Betrieb).
Das gilt jedenfalls dann, wenn der Wahlvorstand für die erstgenannte Wahl (im Betriebsteil) unter Verstoß gegen § 16 BetrVG von den dortigen Arbeitnehmern bestellt worden ist und sein Wahlausschreiben in mehrfacher Hinsicht gegen § 3 WahlO verstoßen hat.
Normenkette
BetrVG § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 18 Abs. 2, § 19 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Beschluss vom 22.01.2003; Aktenzeichen 16 BV 17745/02) |
Tenor
1. Auf die Beschwerden der Beteiligten zu 1. (Arbeitgeberin) und des Beteiligten zu 3. (Betriebsrat R) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 22. Januar 2003 – 16 BV 17745/02 – teilweise geändert:
1.1. Die am 08. März 2002 durchgeführte Wahl des Beteiligten zu 2. (Betriebsrat für die Arbeitnehmer des D. Berlin, D) ist von Anfang an unwirksam (nichtig).
1.2. Der am 15. März 2002 gewählte Beteiligte zu 3. (Betriebsrat für die Arbeitnehmer der R GmbH) ist für die Dauer der gegenwärtigen Amtszeit auch für die Arbeitnehmer des D. Berlin, D, zuständig.
1.3. Der Hilfsantrag des Beteiligten zu 2. – gerichtet auf Feststellung, dass der am 08. März 2002 gewählte Betriebsrat D bis zum Ablauf seiner Amtszeit als Betriebsrat anzuerkennen und in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen zu beteiligen ist – wird als unzulässig abgewiesen.
2. Die weitergehenden Beschwerden der Beteiligten zu 1. und 3. werden zurückgewiesen.
3. Der Antrag des Beteiligten zu 2. – gerichtet auf die Feststellung der Nichtigkeit der am 15. März 2002 durchgeführten Wahl des Beteiligten zu 3. (Betriebsrat R) – wird als unzulässig abgewiesen.
4. Die Rechtsbeschwerde wird für alle drei Beteiligten zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Betriebsratsfähigkeit eines Betriebsteils nach § 18 Abs. 2 BetrVG und über die Kompetenzabgrenzung zweier im März 2002 gewählter Betriebsräte, im zweiten Rechtszug auch über die Nichtigkeit der beiden fraglichen Betriebsratswahlen.
1. Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 1. wurde im Jahre 1993 von den Gesellschaftern A, Z, S, B. D. und Land B. gegründet und ist seit der Geschäftsaufnahme am 01.01.1994 Rechtsträgerin von (ursprünglich fünf, jetzt noch) vier Klangkörpern, nämlich dem R.S Orchester B. – RS. – (mit etwas über 100 Musikern), dem R.chor Berlin (mit etwa 60 Sängern/Musikern), dem R. K.chor (mit etwa 30 Sängern/Musikern) sowie dem D.- D – (mit 114 Musiker-Planstellen). Das D hieß früher (seit 1946) R.-S.Orchester, von 1956 bis 1994 R.Orchester – R., und war vor der Übernahme durch die Beteiligte zu 1. von einer eigenständigen GmbH getragen. Im Gesellschaftsvertrag der Beteiligten zu 1., auf dessen im Jahre 2002 geltende Fassung Bezug genommen wird (Anlage 3 zum Schriftsatz der Beteiligten zu 1. vom 25.10.2002, Bl. 130 ff. d. A.), war zunächst eine Option enthalten, das D wieder auszugliedern und rechtlich zu verselbständigen. Diese Regelung wurde im Jahre 1998 gestrichen, was den Arbeitnehmern der Beteiligten zu 1. Anlass gab, erstmals (1998) einen gemeinsamen Betriebsrat zu wählen (während jedenfalls das D bis dahin einen eigenen Betriebsrat gehabt hatte). Im Jahre 2001 kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den aus dem D stammenden Betriebsratsmitgliedern einerseits und den übrigen Betriebsratsmitgliedern andererseits. Unter dem 21.11.2001 lud der (aufgrund eines Tarifvertrages, Bl. 172 ff. d. A., gebildete) Orchestervorstand des D zu einer außerordentlichen Orchesterversammlung des D am 04.12.2001 ein. In der Einladung (Bl. 394 d. A.) war als einer von mehreren Tagesordnungspunkten vorgesehen: „Bericht der Betriebsräte des D zu den aktuellen Problemen”. Auf der Orchesterversammlung wurde (nach Darstellung des Beteiligten zu 2. einstimmig) beschlossen, bei der bevorstehenden Betriebsratswahl im Frühjahr 2002 wieder einen eigenen Betriebsrat zu wählen. Gleichzeitig wurde (im welcher Weise ist, nicht vorgetragen) ein dreiköpfiger Wahlvorstand bestellt, der in der Folgezeit insgesamt 104 Arbeitnehmer (darunter vier Bürokräfte und drei Orchesterwarte, im Übrigen ausschließlich Musiker) in eine Wählerliste aufnahm und am 08. März 2002 eine Betriebsratswahl durchführte, bei der der (siebenköpfige) Beteiligte zu 2. gewählt wurde.
Etwa zeitgleich bereitete ein vom bisher amtierenden Betriebsrat eingesetzter Wahlvorstand eine Betriebsratswahl für sämtliche Arbeitnehmer der Arbeitgeberin vor und nahm die genannten 104 Arbeitnehmer des D ebenfalls in s...