Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtwidrige Einstellung von Leiharbeitnehmerinnen bei nicht nur vorübergehender Beschäftigung zur Abdeckung eines Dauerbeschäftigungsbedarfs. Unbegründeter Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG bestimmt die nur vorübergehende Überlassung von Beschäftigten an Betriebe und enthält ein Verbot, durch Leiharbeit ausschließlich einen Dauerbeschäftigungsbedarf abzudecken; das ergibt die Auslegung dieser Vorschrift im Lichte der Richtlinie 104/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit.

2. Wird ein Dauerarbeitsplatz mit Leiharbeitnehmerinnen besetzt, ist nicht maßgeblich, für welchen Zeitraum die jeweilige Leiharbeitnehmerin eingesetzt wird; das Merkmal "vorübergehend" ist insoweit arbeitsplatz- und nicht personenbezogen, so dass eine vorübergehende Überlassung nicht dadurch in Frage gestellt wird, dass die Person der Leiharbeitnehmerin wechselt, soweit die Arbeitgeberin den Arbeitskräftebedarf auf einem Dauerarbeitsplatz ausschließlich mit Leiharbeitnehmerinnen deckt.

3. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG ist eine Verbotsnorm im Sinne des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG, die die Einstellung als solche verhindern will.

 

Normenkette

AÜG § 1 Abs. 1 S. 2, § 14 Abs. 3 S. 1; BetrVG § 99 Abs. 2, 2 Nr. 1, § 100 Abs. 3 S. 1; TzBfG § 14 Abs. 1 Nr. 1; EG-RL 104/2008 Art. 1 Fassung: 2008-11-19, Art. 5 Abs. 1 Fassung: 2008-11-19, Abs. 5 S. 1 Fassung: 2008-11-19, Art. 6 Abs. 1 Fassung: 2008-11-19

 

Verfahrensgang

ArbG Cottbus (Entscheidung vom 26.09.2012; Aktenzeichen 2 BV 43/12)

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass festgestellt wird, dass die vorläufigen Einstellungen der Leiharbeitnehmerinnen G., R. und Ge. offensichtlich aus sachlichen Gründen nicht dringend erforderlich waren.

II. Die Rechtsbeschwerde wird für die Beteiligte zu 1) zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur befristeten Einstellung von zuletzt noch drei Leiharbeitnehmerinnen und die dringende Erforderlichkeit ihrer vorläufigen Durchführung.

Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1) (künftig: Arbeitgeberin) betreibt an verschiedenen Standorten in Brandenburg, so auch in Lübben, ein Fachklinikum für Psychiatrie und Neurologie. Dort waren bei Antragstellung ca. 410 Mitarbeiter beschäftigt, darunter ca. 130 Leiharbeitnehmer.

Bei der Arbeitgeberin besteht mittlerweile ein Einstellungsstopp für feste Mitarbeiter; sie stellt nur noch Leiharbeitnehmer auf den nichtärztlichen Dauerarbeitsplätzen ein. Die vom Land Brandenburg im Oktober 2006 im Wege des Betriebsübergangs übernommene Stammbelegschaft erhält Vergütung nach BAT-O, MTArb-O oder TV-L nach dem Stand des Betriebsübergangs, während die Leiharbeitnehmer eine (immer noch niedrigere) Vergütung nach den Tarifverträgen der iGZ-DGB erhalten.

In Befolgung einer Betriebsvereinbarung vom 14.03.2008 schrieb die Arbeitgeberin Anfang 2012 fünf jeweils befristet zu besetzende nichtärztliche Stellen intern aus, auf die sich jedoch niemand bewarb. Sie beabsichtigte sodann, Leiharbeitnehmer von den konzernangehörigen Gesellschaften Personalagentur für G. GmbH (PAG) oder Agentur für Gf. GmbH (Gfb medi) einzustellen, die die entsprechenden Stellen ausschrieb. Mit Schreiben aus März und April 2012 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat, den Beteiligten zu 2), um Zustimmung zur befristeten Einstellung der ausgewählten Leiharbeitnehmerinnen für die Dauer von 12 bis 22 Monaten. Bei den jeweils zu besetzenden Arbeitsplätzen handelte es sich unstreitig um solche, für die ein Dauerbeschäftigungsbedarf bestand. Im Fall der Arbeitnehmerin G. bat der Betriebsrat noch um weitere Informationen, die ihm auch erteilt wurden. In allen Fällen lehnte er die Zustimmung zur Einstellung mit der Begründung ab, dass ein Verstoß gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) vorliege, weil die Arbeitgeberin mit der Maßnahme gegen das Verbot der Scheinleihe und der Dauerleihe verstoße.

Mit weiteren Schreiben vom 27.03.2012 unterrichtete die Arbeitgeberin den Betriebsrat darüber, dass die Einstellung als vorläufige Maßnahme gemäß § 100 BetrVG durchgeführt werden solle, da die Besetzung der freien Stellen durch Leiharbeitnehmer zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs dringend erforderlich sei. Der Betriebsrat bestritt mit Schreiben vom 02.05.2012 die dringende Erforderlichkeit dieser Maßnahmen.

Mit den am 04.05.2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anträgen hat die Arbeitgeberin die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu den personellen Einzelmaßnahmen sowie jeweils die Feststellung begehrt, dass die vorläufige Einstellung aus sachlichen Gründen dringend erforderlich gewesen sei. Die Anträge betreffend zwei der Leiharbeitnehmerinnen haben sich in der Zwischenzeit durch Nichtantritt der Arbeit und vorzeitiges Ausscheiden erledigt.

Die Arbeitgeberin hat sich darauf berufen, dass im Fall der Arbeitnehmerin G. die...

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