Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesonderte Festsetzung des Gegenstandswertes für jeden Prozessbevollmächtigten. Zusammenrechnung von Kündigungsschutzanträgen anhand prozessualer Befassung. Gegenstandswert für Auflösungsvergleich. Gegenstandswert bei Gesamtpaket zur Abwicklung des Arbeitsverhältnisses. Geringerer Gegenstandswert bei bloßer Einigung auf ersten Kündigungstermin
Leitsatz (amtlich)
1. Im Verfahren nach § 33 RVG ist § 308 Abs. 1 ZPO entsprechend anzuwenden.
2. Gegenstandswerte nach § 33 RVG sind in der Regel für jeden Prozessbevollmächtigten gesondert festzusetzen. Zu beteiligen sind - ohne Betroffenheit Dritter - die jeweilige Partei und ihr Anwalt. Ist Prozesskostenhilfe bewilligt worden, steht der Staatskasse ein eigenes Antrags- und Beschwerderecht zu. Im Falle einer erfolgreichen Beschwerde ist dieser in entsprechendem Umfang abzuhelfen.
3. Zur Berechnung des Gegenstandswerts sind zunächst die einzelnen Anträge zu bewerten. Sodann ist ein Gesamtgegenstandswert zu bilden. Bei der Bildung des Gesamtgegenstandswerts ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Werte für die einzelnen Anträge zusammenzurechnen sind.
4. Bei der Frage, ob und in welchem Umfang Kündigungsschutzanträge zusammenzurechnen sind, kommt es darauf an, ob und inwieweit über sie entschieden worden ist oder sie Gegenstand eines Vergleichs geworden sind. Außerdem ist zu berücksichtigen, inwieweit wirtschaftlich derselbe Streitgegenstand betroffen ist.
5. Auch wenn die Parteien sich nicht auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem mit einer vorsorglichen Kündigung vorgesehenen Beendigungstermin einigen, kann oft davon ausgegangen werden, dass in einem Auflösungsvergleich sämtliche in das Verfahren eingeführte Beendigungstatbestände mitgeregelt worden sind.
6. Regelmäßig anders sind die Fälle zu bewerten, in denen sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem früheren Kündigungstermin einigen, ohne dass nennenswerte sonstige Leistungen seitens des Arbeitgebers in dem Vergleich (Gesamtpaket) enthalten sind.
Normenkette
RVG § 33; GKG §§ 42, 45; ZPO § 308; BGB § 158 Abs. 2; GKG § 39; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 18.07.2023; Aktenzeichen 42 Ca 11916/20) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Landeskasse wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. Juli 2023 - 42 Ca 11916/20 - abgeändert und der Gegenstandswert für das Verfahren und den Vergleich - soweit dieser Grundlage für die Festsetzung der PKH-Gebühren der Prozessbevollmächtigten des Beklagten ist - auf 11.588,94 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien haben ua über die Wirksamkeit von zwei Kündigungen gestritten, die zum 30. November 2020 und zum 30. April 2021 ausgesprochen worden waren. Die Parteien haben einen Vergleich geschlossen, in dem sie sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 2021 geeinigt und eine Abfindung vereinbart haben, die die Klägerin als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden dürfe. Außerdem haben sie Feststellungen zu Annahmeverzugsansprüchen als Masseverbindlichkeiten getroffen sowie eine Zeugnisregelung aufgenommen. Dem Beklagten ist Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Der Bezirksrevisor und die Klägervertreter haben Festsetzung des Gegenstandswerts beantragt.
Der Klägervertreter hat im Rahmen des Gegenstandswertfestsetzungsverfahrens erklärt, dass die Klageerweiterung bezüglich der Folgekündigung nicht als Hilfsantrag gestellt und auch nicht als bedingter Antrag gemeint gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat bei der Berechnung des Gesamtgegenstandswerts für jede Kündigung ein Vierteljahreseinkommen angesetzt und diese zusammengerechnet.
Die Landeskasse begehrt im Rahmen der Beschwerde die Herabsetzung des Gegenstandswerts auf ein Vierteljahreseinkommen, da die Folgekündigung mit einem Hilfsantrag angegriffen worden sei, über den nicht entschieden worden und die auch nicht zum Gegenstand des Vergleichs gemacht worden sei.
Der Beklagte (Insolvenzverwalter) und dessen Prozessbevollmächtigte haben nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts ausdrücklich ihr Einverständnis mit der Auffassung des Bezirksrevisors erklärt.
II.
Die zulässige Beschwerde des Bezirksrevisors ist begründet. Der festgesetzte Gegenstandswert liegt über dem Wert, den der Bezirksrevisor beantragt hat und mit dem sich die Beklagtenvertreter ausdrücklich einverstanden erklärt haben. Im Übrigen hat der Bezirksrevisor den Betrag, dessen Festsetzung er beantragt hat, aber auch zutreffend berechnet.
1) Im Verfahren nach § 33 RVG ist § 308 Abs. 1 ZPO entsprechend anzuwenden (vgl. LAG Baden-Württemberg 22. September 2008 - 3 Ta 182/08, Rn. 3; LAG Düsseldorf 25. November 2016 - 4 Ta 634/16, Rn. 13; LAG Berlin-Brandenburg 17. Februar 2020 - 26 Ta (Kost) 6112/19, Rn. 14; 8. Mai 2023 - 26 Ta (Kost) 6213/21, Rn. 23). Die Beklagtenvertreter haben ihren Antrag mit Schriftsatz vom 18. Juli 2023 auf den seitens des Bezirksrevisors für zutreffend gehaltenen Betrag begrenzt.
2) Gegenstandswerte nach § 33 RVG sind in der Reg...