Entscheidungsstichwort (Thema)

Gegenstandswert für vergleichsweise beendetes Kündigungsschutzverfahren mit unbedingt gestelltem Weiterbeschäftigungsantrag. Wertaddition der Gegenstandswerte bei unmissverständlich als unbedingt gestelltem Weiterbeschäftigungsantrag

 

Leitsatz (amtlich)

Ein nach Wortlaut und Begründung unbedingter Antrag auf vorläufige Beschäftigung kann nicht (nicht ist unterstrichen) als unechter Hilfsantrag angesehen werden (entgegen BAG, Beschluss vom 30.08.2011 - 2 AZR 668/10 (A)).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch, der nicht den gleichen Gegenstand wie der Hauptanspruch betrifft, wird mit dem Hauptanspruch zusammengerechnet, sofern eine Entscheidung über ihn ergeht; gleiches gilt, wenn der Hilfsanspruch durch Vergleich erledigt wird (§ 45 Abs. 1 und 4 GKG).

2. Ein Weiterbeschäftigungsantrag, der für den Fall des Erfolges mit der Kündigungsschutzklage geltend gemacht wird, ist nicht zu bewerten, wenn sich die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses einigen; in diesem Fall liegt lediglich eine vergleichsweise Regelung der Bestandsstreitigkeit vor, denn der Umstand, dass eine Weiterbeschäftigung nicht verlangt werden kann, ist Folge und nicht Inhalt des Vergleichs.

3. Verfolgt die Arbeitnehmerin den Anspruch auf vorläufige Beschäftigung nicht im Wege des uneigentlichen Hilfsantrags sondern mit einem (zu bewertenden) Hauptantrag, dessen Wortlaut in keiner Weise darauf hindeutet, dass der Antrag nur für den Fall des Erfolgs mit der Kündigungsschutzklage gestellt werden soll, und enthält auch die Begründung des Antrags keine Anhaltspunkte dafür, dass die Weiterbeschäftigung nur hilfsweise verlangt wird, und lässt sich auch den übrigen Ausführungen der Arbeitnehmerin in der Klageschrift ein derartiger Wille nicht entnehmen, obwohl die Klageschrift von einem Rechtsanwalt verfasst wurde, dem (wie der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses zeigt) der Unterschied zwischen Haupt- und Hilfsantrag bekannt war, kann dieser Weiterbeschäftigungsantrag nicht als ein unechter Hilfsantrag angesehen werden.

4. Ob die klagende Partei einen Haupt- oder einen Hilfsantrag stellen wollte, bestimmt sich ausschließlich nach dem Wortlaut des Antrags und seiner Begründung und nicht nach seinen Erfolgsaussichten oder danach, ob der Antrag dem Kosteninteresse der klagenden Partei entsprach; die Rechtshängigkeit eines Antrags hängt nicht davon ab, ob er zulässig und begründet war und ob die Partei ihr Klageziel auf andere Weise kostengünstiger hätte erreichen können.

5. Dass ein Rechtsanwalt mit einem Hauptantrag zur Weiterbeschäftigung möglicherweise seine anwaltlichen Vertragspflichten verletzt, weil er seine Partei einem unnötigen Kostenrisiko aussetzt, ist für die Frage, ob das Beschäftigungsbegehren unbedingt oder bedingt verfolgt wurde sowie die anschließende Wertfestsetzung ohne Belang; bestehen aufgrund der Antragsformulierung oder der Begründung Unklarheiten darüber, ob ein Haupt- oder Hilfsantrag gestellt werden soll, hat das Gericht dies erforderlichenfalls unter Hinweis auf die kostenrechtlichen Auswirkungen zu erörtern (§ 139 Abs. 1 ZPO), darf jedoch nicht von sich aus einen unbedingt gestellten Antrag in ein Hilfsverhältnis stellen, nur weil es dies für prozessual sinnvoller hält.

 

Normenkette

GKG §§ 45, 45 Abs. 1, 4; ZPO § 139 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 27.10.2015; Aktenzeichen 36 Ca 7896/15)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 27.10.2015 - 36 Ca 7896/15 - teilweise geändert:

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird hinsichtlich des Klageantrags zu 3. auf 3.470,37 EUR festgesetzt.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde auf Kosten der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin hat sich mit ihrer Klage gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung gewandt und mit dem Klageantrag zu 3. die Verurteilung der Beklagten zur vorläufigen Weiterbeschäftigung verlangt. Der Rechtsstreit wurde durch gerichtlich festgestellten Vergleich beigelegt. Die Parteien einigten sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung. Die Beklagte verpflichtete sich zudem, verschiedene Arbeitspapiere ausgefüllt an die Klägerin zu senden; ferner verzichteten beide Parteien auf die Rechte aus einem arbeitsvertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbot.

Das Arbeitsgericht hat auf Antrag der Beschwerdeführer durch Beschluss vom 27.10.2015 den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit festgesetzt, wobei es den Klageantrag zu 3. unbewertet ließ und einen Vergleichsmehrwert nicht festsetzte.

Gegen diesen ihnen am 03.11.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die am 04.11.2015 eingelegte Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Sie sind der Auffassung, der Klageantrag zu 3. müsse als unbedin...

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