Entscheidungsstichwort (Thema)

E-Mail-Zusendung eines als PDF-Datei angehängten Einigungsstellenspruchs. Verstoß gegen Schriftformerfordernis. keine Befugnis des Vorsitzenden zur nachträglichen Änderung des Spruchs. Anforderungen an die Form der Übermittlung eines Einigungsstellenspruchs. Anforderungen an die Heilung von Formmängeln

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Zuleitung eines vom Vorsitzenden unterschriebenen Einigungsstellenspruchs in der Form des § 76 Abs. 3 S. 4 BetrVG einer PDF-Datei entspricht nicht den gesetzlichen Vorschriften, wonach Beschlüsse der Einigungsstelle schriftlich niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und Arbeitgeber und Betriebsrat zuzuleiten sind.

2. Eine rückwirkende Heilung der Verletzung dieser Formvorschrift ist wegen der unmittelbaren und zwingenden Wirkung des Einigungsstellenspruchs, der vom Arbeitgeber gem. § 77 Abs. 1 BetrVG ungeachtet einer gerichtlichen Anfechtung durchzuführen ist, grundsätzlich nicht möglich (BAG - 1 ABR 31/09 - 05.10.2010).

 

Normenkette

BetrVG § 76 Abs. 3 S. 4; BGB § 126 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 08.12.2011; Aktenzeichen 8 BV 39/11)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 10.12.2013; Aktenzeichen 1 ABR 45/12)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 08.12.2011 - 8 BV 39/11 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der korrigierte Einigungsstellenspruch vom 21.08.2011 unwirksam ist.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.

Die Arbeitgeberin ist deutschlandweit in den Geschäftsfeldern Engineering, Maschinenbau und Industrieanlagenservice tätig. Gemäß Konzeption vom 21.02.2011 (Bl. 26 bis 31 d. A.) fand bei der Arbeitgeberin eine Betriebsänderung statt, bestehend aus der Abspaltung der bisherigen Abteilung Industrieanlagen Service, der Schließung des ganz überwiegenden Teils der Abteilung Controlling/Verwaltung, der Einschränkung der Abteilung Engineering sowie der Anpassung der Arbeitnehmerzahl an das vorhandene Arbeitsvolumen im Meisterbereich Zerspanung.

Nachdem die Verhandlungen der Beteiligten über einen Interessenausgleich und Sozialplan scheiterten, wurde eine Einigungsstelle angerufen, der u. a. Rechtsanwalt P. auf der Seite des Betriebsrates und Rechtsanwalt M. auf der Seite der Arbeitgeberin angehörten. Diese tagte am 09.04., 06.05., 19.05. und 30.05.2001. Eine Einigung über den Sozialplan kam nicht zustande. Die Einigungsstelle entschied am 30.05.2011 über den Antrag der Betriebsratsseite durch Spruch gegen die Stimmen der Arbeitgeberseite. Mit E-Mail vom 02.06.2011 übersandte der Vorsitzende der Einigungsstelle ihren Mitgliedern als anhängende PDF-Dateien das von ihm unterzeichnete Protokoll der Sitzung vom 30.05.2011 (Bl. 57 bis 61 d. A.) sowie den von ihm unterzeichneten Einigungsstellenspruch vom 30.05.2011 (Bl. 61 bis 66 d. A.).

In Ziffer 3.1 b) dieses Sozialplanes heißt es:

"Der Abfindungsbetrag gemäß Soziallage errechnet sich wie folgt:

Normalfall:

...

Die Abfindung erhöht sich um die einmalige Differenz des bisherigen Jahres-Bruttoentgeltes und einem geschätzten zukünftigen Jahresbrutto-Entgelt in einem zukünftigen Arbeitsverhältnis. Dabei wird pauschaliert ein um 25 % reduziertes Bruttoentgelt zugrunde gelegt."

Mit E-Mail vom 28.06.2011 (Bl. 70 d. A.) meldete sich Rechtsanwalt P. bei dem Vorsitzenden der Einigungsstelle mit dem Hinweis, dass Protokoll und Spruch in einem Punkt unvollständig seien. Die Beisitzer der Betriebsratsseite hätten bei der letzten Abstimmung auch beantragt, dass im Normalfall der Entgeltausgleich für 15 Monate (bzw. in einer Pauschalsumme die 15fache monatliche Differenz) gezahlt werden müsse.

Der Vorsitzende der Einigungsstelle teilte mit allen Mitgliedern der Einigungsstelle übersandter E-Mail vom 28.06.2011 (72 d. A.) mit, dass eine Durchsicht seiner Mitschrift aus der letzten Sitzung ergeben habe, dass er in der Tat notiert gehabt habe, dass im zweiten Absatz im Normalfall ein Ausgleich für 15 Monate erfolgen solle und dass darüber auch abgestimmt worden sei. In seiner Stellungnahme hierzu vom 06.07.2011 (Bl. 74 bis 76 d. A.) erklärte Rechtsanwalt M., dass seitens der Beisitzer der Betriebsratsseite kein Antrag gestellt worden sei, einen Entgeltausgleich für 15 Monate zu zahlen. Nach umfangreichem weiteren Schriftwechsel (Bl. 77 bis 95 d. A.) leitete der Einigungsstellenvorsitzende mit Schreiben vom 21.08.2011 (Bl. 96/97 d. A.) der Arbeitgeberin einen berichtigten Einigungsstellenspruch (Bl. 89 bis 105 d. A.) zu. Dieser ging bei ihr am 24.08.2011 ein. Der Vorsitzende der Einigungsstelle teilte dabei mit, dass es der materiellen Gerechtigkeit entspräche, wenn die in seiner handschriftlichen Mitschrift notierte Formulierung auch Eingang in den Spruch der Einigungsstelle finde. Die Übersendung des - vermeintlichen - Spruchs der Einigungsstelle als pdf-Datei mit E-Mail vom 02.06.2011 entspreche nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesar...

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