Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkennung der Betriebsgrenzen mehrerer Betriebsstätten bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung. Aussetzungsbeschluss wegen Vorgreiflichkeit des Verfahren zur Anfechtung der Betriebsratswahl
Leitsatz (amtlich)
1. Die für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung maßgebliche Betriebsorganisation bestimmt sich im Ausgangspunkt gemäß § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX i.V.m. § 87 Abs. 1 Satz 2 SGB IX nach dem BetrVG (Grundsatz der Akzessorietät des schwerbehindertenvertretungsrechtlichen Betriebsbegriffs).
2. Für seine Wahlperiode gilt ein nicht nichtig, sondern nur anfechtbar gewählter Betriebsrat, dessen Wahl nicht angefochten wurde, als der in seinen Wahlgrenzen zuständige Betriebsrat. Entsprechend gilt im Fall der gerichtlichen Feststellung der Wirksamkeit einer Betriebsratswahl ein Betriebsrat auch dann als für die betrieblichen Bereiche, die den Betriebsrat gewählt haben, als zuständig, wenn bei seiner Wahl der Betriebsbegriff verkannt worden sein sollte.
3. Die Entscheidung über die Wirksamkeit der Wahl eines gemeinsamen Betriebsrates für zwei Betriebsstätten ist für die Entscheidung über die Wirksamkeit einer gemeinsamem Schwerbehindertenvertretung in denselben Betriebsstätten vorgreiflich i.S.d. § 148 ZPO.
4. Auf Grund der temporären Gestaltungswirkung einer die Wirksamkeit der Wahl feststellenden gerichtlichen Entscheidung ist bei der Wahl der Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung die Verkennung der Betriebsgrenzen als Wahlfehler auch dann kausal, wenn die Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung auch bei Wahlteilnahme übergangener Wahlberechtigter auf Grund der Anzahl der möglichen Stimmen auf jeden Fall gewählt worden wäre. Für die Anfechtbarkeit kommt es nicht allein auf das Wahlergebnis, sondern auch darauf an, ob der Wahl der Schwerbehindertenvertretung eine richtige Bestimmung der Betriebsgrenze zugrunde liegt.
Normenkette
SGB IX § 94 Abs. 1 S. 1, Abs. 6 S. 2, § 87 Abs. 1 S. 2; BetrVG §§ 1, 3-4, 19 Abs. 1; ZPO § 148
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 28.05.2015; Aktenzeichen 9 BV 17734/14) |
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Verfahren LAG Berlin-Brandenburg vom 08.01.2016 - 8 TaBV 483/15 -.
II. Gegen diesen Aussetzungsbeschluss wird die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit der Wahl der Vertrauensperson und der stellvertretenden Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung, die am 26.11.2014 in einer gemeinsamen Wahl in den Betriebsstätten des Beteiligten zu 1) Berlin-Adlershof (BA) und Berlin-Zentrum (BZ) gewählt wurden.
Der Beteiligte zu 1) betreibt u.a. die Betriebsstätte Bonn-Oberkassel/Bonn-Bad Godesberg (im Folgenden: Bonn-Bad Godesberg) (BG) und in Berlin u.a. die Betriebsstätten Berlin-Zentrum (BZ), Berlin-Adlershof (BA).
Im Jahr 2014 wurde für die Betriebsstätten Bonn-Bad Godesberg (BG) und Berlin-Zentrum (BZ) und auch für die Betriebsstätten Berlin-Adlershof (BA) und Berlin-Zentrum (BZ) sowohl je ein gemeinsamer Betriebsrat und eine gemeinsame Schwerbehindertenvertretung gewählt.
Die Wahl für den gemeinsamen Betriebsrat der Betriebsstätten Bonn-Bad Godesberg (BG) und Berlin-Zentrum (BZ) wurde angefochten. Ein rechtskräftiger Beschluss liegt noch nicht vor.
Am 08.04.2014 fand für die Betriebsstätten Berlin-Adlershof (BA) und Berlin-Zentrum (BZ) die Wahl eines gemeinsamen Betriebsrats statt. Die Wahl wurde vom Beteiligten zu 1) angefochten. In einem noch nicht rechtskräftigem Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg vom 08.01.2016 - 8 TaBV 483/15 wurde sie für unwirksam erklärt.
Am 25.11.2014 fand in der Betriebsstätte Bonn-Bad Godesberg (BG) und in der Betriebsstätte Berlin-Zentrum (BZ) eine gemeinsame Wahl der Schwerbehindertenvertretung statt. Das Wahlergebnis wurde am 26.11.2014 bekanntgegeben (Anlage ASt 3, Bl. 12 d.A.). Die Wahl wurde nicht angefochten.
Am 26.11.2014 wurde in den Betriebsstätten Berlin-Adlershof (BA) und Berlin-Zentrum (BZ) die hier streitbefangene Wahl einer gemeinsamen Schwerbehindertenvertretung durchgeführt.
Auf der Wählerliste (Anlage ASt. 2, Bl. 11 d.A.) standen die Namen von sieben schwerbehinderten Mitarbeitern der Betriebsstätte Berlin-Adlershof (BA) und drei schwerbehinderten Mitarbeitern der Betriebsstätte Berlin-Zentrum (BZ). Nicht aufgeführt waren zwei weitere schwerbehinderte Mitarbeiter aus der Betriebsstätte Berlin-Zentrum (BZ), Frau C. und Frau R.. Einziger Kandidat für die Wahl der Vertrauensperson war der Beteiligte zu 2). Einzige Kandidatinnen für die Wahl als Stellvertreterin die Beteiligten zu 3) und 4). Das Wahlergebnis wurde am 27.11.2014 (Anlage ASt 1, Bl. 8) bekannt gegeben. Danach wurde der Beteiligte zu 2) mit 4 Stimmen, die Beteiligte zu 3) mit 4 Stimmen als erste Stellvertreterinnen und die Beteiligte zu 4) als zweite Stellvertreterin mit 3 Stimmen gewählt. Mit dem am 11.12.2014 eingegangenen Schriftsatz vom 11.12.2014 hat der Beteiligte zu 1) beantragt, die Wahl einerseits des Beteiligten zu 2) als Vertrauenspe...