Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhöhung des Gegenstandswerts durch hilfsweise Kündigungen im Vergleich. Gebührenrechtliche Bewertung mehrerer Kündigungen mit unterschiedlichen Endzeiten. Auslegung eines Kündigungsschutzantrags. Gebührenrechtliche Berücksichtigung eines Hilfsantrags als ursprünglichen Hauptantrag. Regelungswille bei Auflösungsvergleich. Keine Erhöhung für den Gegenstandswert bei Vorsichtskündigungen
Leitsatz (amtlich)
1. Werden mehrere Kündigungen ausgesprochen, ist im Hinblick auf die Kündigung mit dem frühesten Beendigungstermin ein Vierteljahreseinkommen in Ansatz zu bringen. Bei den die weiteren Kündigungen betreffenden Anträgen handelt es sich regelmäßig um Hilfsanträge. Für diese ist der Gegenstandswert nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG (juris: GKG 2004) zu erhöhen, wenn über sie entschieden wird oder sie in einem Vergleich sachlich mitgeregelt werden (so auch Streitwertkommission Nr. 21.3: Mehrere Kündigungen mit unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten) (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 15. November 2019 - 26 Ta (Kost) 6086/19, Rn. 9).
2. Ein auf eine Kündigung bezogener Kündigungsschutzantrag ist dahin zu verstehen, dass er auflösend bedingt für den Fall gestellt ist, dass der Kündigungsschutzantrag gegen eine früher greifende Kündigung ohne Erfolg bleibt. Nur dies entspricht dem wohlverstandenen (Kosten) Interesse der klagenden Partei. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitgeber die Kündigung nur "vorsorglich" im Verhältnis zu einer bereits ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung und damit auflösend bedingt für den Fall erklärt hat, dass das Arbeitsverhältnis bereits durch die andere Kündigung beendet ist (vgl. BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16, Rn. 46).
3. Wird während des Rechtsstreits später eine weitere - zu einem früheren Zeitpunkt wirkende - Kündigung ausgesprochen, handelt es sich regelmäßig bei dem zuerst angekündigten Antrag der Sache nach nur noch um einen Hilfsantrag. Wegen § 40 GKG (juris: GKG 2004) ist der danach als Hilfsantrag zu wertende Ausgangsantrag gebührenrechtlich dennoch zu berücksichtigen, da es insoweit auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem der Antrag den Rechtszug eingeleitet hat, unabhängig davon, ob über ihn entschieden wird oder die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1, 4 GKG (GKG 2004) vorliegen. Denn zum Zeitpunkt der "Einleitung des Rechtszugs" handelte es sich um einen Hauptantrag.
4. Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine klagende Partei eine später wirkende Kündigung ganz bewusst mit einem Hauptantrag angreift. Denn der Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage - und damit der Umfang der Rechtskraft eines ihr stattgebenden Urteils - kann auf die (streitige) Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die konkret angegriffene Kündigung beschränkt werden (vgl. BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11, Rn. 20).
5. Auch wenn die Parteien sich nicht auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem spätesten Beendigungstermin einer der Kündigungen einigen, kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass in einem Auflösungsvergleich sämtliche in das Verfahren eingeführte Beendigungstatbestände mitgeregelt worden sind. Gegenstand der Vergleichsverhandlungen sind regelmäßig alle Beendigungstatbestände. Der gewählte Beendigungszeitpunkt wirkt sich im Rahmen des "Gesamtpakets" aus, in das meist sämtliche Beendigungstatbestände als wertbildende Faktoren einfließen und damit jedenfalls materiell im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 iVm. Abs. 4 GKG (juris: GKG 2004) mit geregelt werden (vgl. LAG Baden-Württemberg 2. September 2016 - 5 Ta 101/16, Rn. 20; LAG Berlin-Brandenburg 19. Mai 2021 - 17 Ta (Kost) 6041/21).
6. Anders kann ausnahmsweise zu entscheiden sein, wenn eine von mehreren Kündigungen offensichtlich (zB als Probezeitkündigung) wirksam ist, der Arbeitgeber aber während des Prozesses "aus reiner Vorsicht" vorsorglich noch eine weitere Kündigung nachgeschoben hat, die jedoch angesichts einer wirksamen Kündigung im Rahmen der Vergleichsverhandlungen keinen wertbildenden Faktor mehr darstellt.
Normenkette
GKG (2004) § 45 Abs. 1 S. 2, Abs. 4; BGB § 158 Abs. 2; GKG § 33 Abs. 9
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 06.07.2021; Aktenzeichen 48 Ca 9872/20) |
Tenor
Die Beschwerden der Landeskasse und der Klägervertreter gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 6. Mai 2021 in der Fassung des Beschlusses vom 6. Juli 2021 - 48 Ca 9872/20 - werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ein Gesamtgegenstandswert in Höhe von 11.210 Euro festgesetzt wird.
Gründe
I.
Die Parteien haben einen Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 14. Juli 2020 (Antrag zu 1) und eine ordentliche Kündigung vom 28. August 2020 (zum 11. September 2020) (Antrag zu 7) während der Probezeit geführt. Bei den Anträgen zu 2) und zu 8) hat es ich um allgemeine Feststellungsanträge gehandelt. Der Antrag zu 3) betraf ein Zeugnis, die Anträge zu 4) und zu 9) Hilfsanträge auf Weiterbeschäftigung, der Antrag zu 5) einen Annahmeverzugsanspruch für den Monat Juli 2020 (zweite...