Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverhältnismäßige Kündigung eines Zerspanungsmechanikers wegen Verstoßes gegen ein betriebliches Alkoholverbot

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Alkoholgenuss während der Arbeit trotz Alkoholverbots kann je nach den Umständen des Einzelfalles eine Kündigung rechtfertigen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist jedoch auch bei Verstößen gegen absolute Verbote zu beachten.

2. Auch bei einem betrieblichen Alkoholverbot kann bei Pflichtverstößen nicht auf eine Abmahnung verzichtet werden, wenn in keinem der betrieblichen Dokumente, die das Alkoholverbot regeln oder die auf das geregelte Alkoholverbot hinweisen, kündigungsrechtliche Folgen für den Fall des Verstoßes gegen das Verbot angedroht werden.

3. Fehlt es an tatsächlichen Umständen für die Annahme, dass der Arbeitnehmer auch zukünftig nach einer Abmahnung alkoholisiert zur Arbeit erscheinen oder während der Arbeitszeit Alkohol zu sich nehmen wird, kann allein aus der Pflichtverletzung und deren Schwere keine negative Prognose für die Zukunft abgeleitet werden.

4. Wird der Arbeitnehmer bei einer pflichtwidrigen Alkoholisierung ertappt und entscheidet er sich in dieser Situation für eine objektiv unrichtige Antwort, um sich auf diese Weise jedweder Diskussion über einen Verstoß gegen das Alkoholverbot zu entziehen, ist dieses Verhalten zwar nicht korrekt, eine schwere arbeitsvertragliche Pflichtverletzung, welche ohne Abmahnung die Beendigung eines langjährig bestehenden Arbeitsverhältnisses durch ordentliche Kündigung rechtfertigt, kann in einem derartigen Verhalten jedoch nicht gesehen werden. Insoweit kann dem Arbeitnehmer allein der Vorwurf gemacht werden, sich in einer von der Arbeitgeberin verursachten Konfliktlage nicht korrekt verhalten zu haben.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2, 2 S. 1 Alt. 2; BGB § 314 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 31.10.2016; Aktenzeichen 54 Ca 5920/16)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 31. Oktober 2016 - 54 Ca 5920/16 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen.

Der am .... 1967 geborene, ledige Kläger ist bei der Beklagten, die allein an ihrem Standort in Berlin ca. 2.450 Arbeitnehmer beschäftigt, seit dem 1. September 1984 als Zerspanungsmechaniker mit einem durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen in Höhe von zuletzt 4.000,- Euro beschäftigt.

Zuletzt war der Kläger am Standort der Beklagten in der H.straße in Berlin im G. in der Schaufelfertigung als Maschinen- und Anlagenführer in einem rollierendem Schichtsystem beschäftigt. Im Betrieb der Beklagten ist ein Betriebsrat gebildet; es herrscht dort ein striktes Alkoholverbot. Das Alkoholverbot ergibt sich aus einer arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Arbeitsordnung (Anlage B 6, Bl. 53 ff. d. A.) als auch aus einer Betriebsvereinbarung über den missbräuchlichen Konsum bewusstseinsverändernder Mittel am Standort Berlin (Anlage B 7, Bl. 66 ff. d. A.). Die Betriebsvereinbarung behandelt auch die Folgen von Verstößen gegen das Alkoholverbot. In Ziffer 2 ("Missbräuchlicher Konsum bewusstseinsverändernder Mittel im Betrieb") ist geregelt, wie die unmittelbaren Vorgesetzten zu reagieren haben. Unter Ziffer 2.3 ist festgehalten, dass Arbeitnehmer, die wegen des Konsums bewusstseinsverändernder Mittel bei der Arbeit auffallen, zunächst - ggfls. mit Begleitung nach Hause geschickt werden, ihren Entgeltanspruch für diese Zeit verlieren und danach ein vertrauliches Gespräch zu führen ist, in dem die arbeitsrechtlichen Konsequenzen aufgezeigt werden. Weitergehend sind Fürsorge- und Klärungsgespräche sowie ein Stufenplan vorgesehen.

In der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 2016 war der Kläger in die von 22:00 bis 06:00 Uhr dauernde Nachtschicht mit einer festgelegten Pause von 02:00 bis 02:45 Uhr eingeteilt. Diese Pause verbrachte der Kläger mit weiteren sieben Kollegen seiner Schicht in einer in der Nähe des Betriebsgeländes befindlichen Gaststätte (H.) und konsumierte dort Alkohol. Die Menge des getrunkenen Alkohols bzw. der Grad der Alkoholisierung ist nicht festgestellt und zwischen den Parteien streitig.

Die Beklagte sprach daraufhin nach Anhörung des Betriebsrates mit Schreiben vom 13. April 20176, dem Kläger am 18. April 2016 zugegangen, die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2016 aus. Dagegen hat sich der Kläger mit seiner am 4. Mai 2016 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangen Kündigungsschutzklage mit einem punktuellen Kündigungsschutzantrag und einem allgemeinen Feststellungsantrag gewandt und seine vorläufige Weiterbeschäftigung mit einem Weiterbeschäftigungsantrag geltend gemacht. Er hat gemeint, ein die Kündigung sozial rechtfertigender Kündigungsgrund liege nicht vor. Weiter hat er die Betriebsratsanhörung als nicht ordnungsgemäß gerügt. Zudem seien andere Arbeitnehmer, sie ebenfalls in der H. Alkohol getrunken hä...

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