Entscheidungsstichwort (Thema)
Abbedingung arbeitsvertraglicher Ansprüche durch Betriebsvereinbarung im kirchlichen Bereich
Leitsatz (amtlich)
1. Die unmittelbare Wirkung, die die Kirchengesetze über das Mitarbeitervertretungsrecht Dienstvereinbarungen zuerkennen, kann sich nicht ohne eine im säkularen Recht enthaltene entsprechende Anordnung auf Arbeitsverhältnisse erstrecken, die dem Regime des staatlichen Arbeitsrechts unterfallen (vgl. BAG v. 24.06.2014 - 1 AZR 1044/12, Rz. 12; BAG v. 29.09.2011 - 2 AZR 523/10, Rz. 20).
2. Daher kann eine nach § 8 des Kirchengesetzes über die Anwendung des Mitarbeitervertretungsgesetzes der EKD in der E. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische O. (MVG-AG) abgeschlossene Notlagen-Dienstvereinbarung arbeitsvertragliche Ansprüche nur bei vertraglicher Bezugnahme auf das kirchliche Mitarbeitervertretungsrechts bzw. die für die Einrichtung geltenden Dienstvereinbarungen wirksam abbedingen.
3. Allein die beim Arbeitnehmer vorhande Kenntnis, dass der kirchliche Arbeitgeber zur Anwendung der mit der Mitarbeitervertretung abgeschlossenen Dienstvereinbarungen verpflichtet ist, ist nicht geeignet, das Vorliegen einer konkludenten Vereinbarung mit dem Arbeitgeber über die Bezugnahme auf den Inhalt der Dienstvereinbarungen anzunehmen.
4. Vertrauensschutz in den Fortbestand eines in früherer höchstrichterlicher Rechtsprechung aufgestellten Rechtsgrundsatzes zur unmittelbaren und zwingenden Wirkung kirchenrechtlicher Dienstvereinbarungen (vgl. BAG v. 19.06.2007 - 1 AZR 340/06, Rz. 41) kann jedenfalls für nach der Entscheidung des BAG v. 29.09.2011 - 2 AZR 523/10, Rz. 20 abgeschlossene kirchenrechtliche Dienstvereinbarungen nicht gewährt werden.
Normenkette
MVG-EKD § 36 Abs. 3; MVG-AG EkBO § 8
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.10.2015; Aktenzeichen 37 Ca 3157/15) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14.10.2015 - 37 Ca 3157/15 - abgeändert und die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 2.704,65 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.03.2015 zu zahlen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
II. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen, nicht jedoch für die Klägerin.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Sonderzahlung.
Die Beklagte ist eine Tochtereinrichtung der D. S. gGmbH (vormals D. Werk N.-O. e. V.) und eine Einrichtung der E. K. Berlin-Brandenburg-schlesische O.. Sie ist Mitglied im D. Werk Berlin-Brandenburg-schlesische O. (DWBO). Die Klägerin ist bei ihr bzw. bei Rechtsvorgängern seit dem 01.09.1981 als Erzieherin beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis der Parteien liegen zuletzt die Regelungen des schriftlichen Arbeitsvertrages der Klägerin mit dem Rechtsvorgänger der Beklagten vom 14.08.2006 (Bl. 5 f. d. A.) sowie der Mitteilung desselben vom 10.09.2008 (Bl. 7 d. A.) zugrunde. Ziff. 1 der Mitteilung vom 10.09.2008 lautet:
Auf das oben bezeichnete Arbeitsverhältnis werden mit Wirkung vom 1. August 2008
- der Tarifvertrag der E. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische O. (TV-EKBO)
- der Tarifvertrag zur Überleitung der Mitarbeiter aus dem früheren Geltungsbereich des Tarifvertrages für kirchliche Mitarbeiter in der E. Kirche in Berlin-Brandenburg (KMT) sowie aus dem Geltungsbereich von Artikel 3 Rechtsverordnung über die vorübergehende Gestaltung der Arbeitsbedingungen der in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (ARVO) sowie aus dem Geltungsbereich der Kirchlichen Arbeitsvertragsordnung (KAVO) vom 2. April 1992 in den TV-EKBO und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-EKBO)
- sowie die Tarifverträge, die den TV-EKBO und den TVÜ-EKBO zukünftig ergänzen, ändern oder ersetzen,
angewandt.
Die tarifvertraglichen Regelungen sind Bestandteil des oben genannten Arbeitsvertrages.
Bei Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 TV-EKBO betrug die Bruttomonatsvergütung der Klägerin inklusive einer "VL-Zulage", einer "Nebenabrede" und einer "Heimzulage" in den Monaten Juli und August 2014 jeweils 3.870,44 EUR (s. die Abrechnungen Bl. 8 und 9 d. A.).
Am 22./23.04.2005 erließ die Landessynode der E. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische O. § 8 des Kirchengesetzes über die Anwendung des Mitarbeitervertretungsgesetzes der EKD in der E. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische O. (MVG-AG) mit folgendem Wortlaut:
(1) § 36 Abs. 1 Satz 3 des Mitarbeitervertretungsgesetzes der EKD gilt mit der Maßgabe, dass Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen auch dann Gegenstand einer Dienstvereinbarung sein können, wenn eine wirtschaftliche Notlage vorliegt.
(2) Eine wirtschaftliche Notlage besteht, wenn
a) im Bereich der verfassten Kirche die Dienststelle nicht in der Lage ist oder kurzfristig in der Lage sein wird, aus den laufenden Einnahmen die laufenden Ausgaben einschließlich des Schu...